Volle Harmonie am Regierungstisch

Die hessische rot-grüne Landesregierung gab eine Halbzeitbilanz. Neue politische Ansätzen fehlen. Harmonie pur wurde zelebriert. Grüne mobben ihre Querdenker weg  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Es würde in Deutschland keine andere Landesregierung geben, die so ausgezeichnet funktioniere wie die in Hessen, sagte Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) vergangene Woche beim Plausch mit Journalisten. Und Rupert von Plottnitz (Bündnisgrüne), Minister für Justiz und für Europaangelegenheiten, lobte seinerseits die SPD, weil sie in der für die Grünen so wichtigen Atompolitik seit 1991 mit dem kleinen Koalitionspartner an einem Strang ziehe in der „Ausstiegspolitik gegen Bonn“.

Es scheint alles im Lot zwischen SPD und Bündnisgrünen zur Halbzeit der zweiten Legislaturperiode in Hessen. Sollten tatsächlich einmal Gewitterwolken aufziehen, wie etwa bei den prognostizierten Auseinandersetzungen in der Koalition um die bevorstehende Abschiebung von Kriegsflüchtlingen aus Bosnien oder um die Zukunft der Gentechnologie, werde man diese Konflikte „solidarisch lösen“ (Eichel) und „auf keinen Fall die Koalition gefährden“ (von Plottnitz).

Vor Eichel und von Plottnitz hatten sich bereits die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Bündnisgrünen, der einst so kratzbürstige Armin Clauss und der selbstbewußte Alexander Müller, umarmt. Demonstrierte Harmonie überall. Einmal sah sich Müller mit bangem Blick auf das Profil der Bündnisgrünen aber doch bemüßigt, die Euphorie ein wenig zu bremsen: „Wir wollen am Ende doch nicht Alexander Clauss und Armin Müller heißen.“ Aber das Arbeitsergebnis stimme. „Und die rot-grüne Mannschaft ist in guter Verfassung.“ Die Koalition funktioniert also. Warum? „Weil es in Hessen kein Garzweiler II gibt“, konstatierte Rupert von Plottnitz.

„Garzweiler II“ hieß in Hessen „Hanau“. Als Konfliktthema der späten 80er Jahre ist Hanau (Plutonium) heute längst abgearbeitet. Weil Siemens die Plutoniumverarbeitung eingestellt hat.

Damit das beidseitige Einverständnis auch fürderhin bleibt, soll auf dem Landesparteitag der Bündnisgrünen am 19. April auch der letzte Quertreiber im Landesvorstand abgeschossen werden. Gegen den manchmal unglücklich agierenden, aber bündnisgrünen Grundsätzen verpflichteten Landesvorstandssprecher Raimar Hamann wird der Umweltdezernet von Frankfurt am Main, Tom Koenigs, kandidieren. Hamann soll weg. Denn er ist ein konsequenter Gegner der Gentechnologie. Und die SPD will Hessen zum „Homeland“ der Biotechnologie in Deutschland avancieren lassen.

Von Plottnitz bemüht sich im Vorfeld, den dräuenden Konflikt klein zu halten. Bei der Gentechnologie, sagte er, müßten beide Seiten ihre Positionen revidieren. In Bonn seien von den Bündnisgrünen bereits moderatere Töne zum Thema zu hören. Hamann muß also aus dem Rennen ausscheiden. Koenigs ist der Favorit, dies kann gewertet werden als Garantieerklärung für die Fortsetzung der praktizierten Politik aus einem Guß an die Adresse des Koalitionspartners in Wiesbaden.

Und was ist aus dem schon 1991 von Eichel und damals noch Joschka Fischer euphorisch angekündigten „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft“ in Hessen geworden? Eichel und von Plottnitz verwiesen auf die Sonderabfallabgabe. Doch die noch unter Umweltminister Joschka Fischer konzipierte Ökosteuer, mit der die Chemieindustrie zur Realisierung ökologischer Produktionsmethoden animiert werden sollte, liegt aus ökonomischen Gründen längst auf Eis. Denn die Sozialdemokraten befürchteten Standortnachteile für Hessen. Auch die Einnahmen aus der zweiten Ökosteuer in Hessen, der sogenannten Grundwasserabgabe, dürfen heute auch für andere als für rein ökologische Zwecke – so die ursprüngliche Vorlage – verwendet werden.

Das hat im vergangenen Jahr nur noch den umweltpolitischen Sprecher der Fraktion im Landtag, Horst Burghardt, in Rage gebracht. Der warf der Fraktion den Bettel vor die Füße und gab sein Sprecheramt ab. Mit Burghardt, der im März zum Bürgermeister von Friedrichsdorf gewählt wurde, verläßt ohnehin der letzte ausgewiesene Ökologe, der sich auch kompetent zu Atomfragen äußern konnte, die Fraktion.

Der „ökologische Umbau der Industriegesellschaft“ hat also nicht stattgefunden. Und nicht zuletzt der Konflikt um PVC beim (öffentlichen) Bau, dessen Einsatzverbot auf Druck der SPD wieder aufgehoben wurde, ist Beleg dafür, daß die Grünen in dieser „Erfolgskoalition“ (Eichel) mehrfach über den Tisch gezogen wurden – und dabei gute Miene zum bösen Spiel machten.

Doch auch das ist Politik. Denn wer, so fragte Elke Cezanne, die Sprecherin der Landtagsfraktion, hätte schon nachvollziehen können, wenn die rot-grüne Koalition etwa an der Frage nach der Verwendung der Gelder aus der Grundwasserabgabe gescheitert wäre? Es wurde und wird also Realpolitik in Reinkultur praktiziert. Die Fassade steht – als Potemkinsches Dorf. Politische Inhalte: Fehlanzeige. Wegen der leeren Kassen – und der permanenten „Abwehrkämpfe gegen Bonn“ (Eichel). Das schweißt zusammen.

Man hat sich eingerichtet in Wiesbaden. Die Macht ist verteilt, die Machtbereiche klar abgegrenzt. Und gemeinsam haben SPD und Grüne auch die Skandälchen und die handfesten Skandale überstanden. Auch das schweißt zusammen. Denn die tragischen und die tragenden Rollen waren dabei gleichberechtigt verteilt. Hessen als Modell für Bonn? Eine Alternative für Harmoniesüchtige. Aber auch noch eine Garantie für das Prinzip Hoffnung; wenigstens darauf, daß die erfolgreiche (Hanau) Atomausstiegspolitik in Wiesbaden einmal Vorbild für die Ausstiegspolitik einer neuen Bundesregierung wird. Unter einem Kanzler Gerhard Schröder?