Kurt Scheels Lichtspiele
: Poesie des Titels

■ Rückblick auf eine große deutsche Vergangenheit

Wer da hat, dem wird gegeben – den Schönen, den Klugen, den Mächtigen also. Aber was wird aus uns? Und wenn es schon im wirklichen Leben so ungerecht zugeht, warum auch noch im Kino?! Ist der Film doch, wie ich nicht müde werde zu betonen, nicht Abbild, sondern Wunschbild der Realität, und seine vornehmste Aufgabe (der die richtige Literatur seit gut 100 Jahren bekanntlich immer unwilliger nachkommt) ist es daher, uns über unser verpfuschtes Leben zu trösten: Evasion eben, und das ist ja mein tiefster, humanistisch- egalitärer Grund, warum ich das Kino gegen die Kunschtfraktion („Godard“) verteidige; recht eigentlich besehen ein Volksfreund („ami du peuple“), den manche Universitäten als „Populisten“ mißverstehen...

Konsequenterweise werde ich mich heute daher nicht mit Höhenkammfilmen beschäftigen, mit Meisterwerken und Geniestreichen, sondern mit den Ärmsten der Armen, den filmischen Erniedrigten und Beleidigten: „...denn die Musik und die Liebe in Tirol“ beziehungsweise „...und der Amazonas schweigt“ respektive „Sie nannten ihn Krambambuli“.

Nun kenne ich zwar sehr viele sehr schlechte Filme, diese drei jedoch nicht. Aber erstens sind es deutsche Filme, zweitens spielen in ihnen Vivi Bach und Claus Biederstaedt, Barbara Rütting und Harald Leipnitz, Michael Schanze und Susi Nicoletti die Hauptrollen – und schließlich: die Titel! Nicht nur sind sie von wundersamer Idiotie, die schon stark ins Poetische lappt; es sind auch Prototypen, geradezu Ausgeburten der zauberhaften Titelgebung, deren sich die deutsche Filmkunst vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren befleißigte: Denn-, Und- und Sie-nannten-ihn-Filme.

Das „Lexikon des Internationalen Films“ verzeichnet immerhin acht Denn-Titel, wovon der schönste sicher „Denn das Weib ist schwach“ ist, der berühmteste „...denn sie wissen nicht, was sie tun“. Wenn man den Sie-nannten-ihn-Filmen die Man-nannte/ nennt-ihn/sie/es hinzuzählt, kommt man auf 30 („Sie nannten ihn Zambo“, „Man nennt es Amore“). Und jetzt raten Sie mal, wie viele Und-Filme es gibt – an die 140 (in Worten: hundertvierzig)!

Schöner als „Und die Frau erschuf die Liebe“ finde ich „...und ewig bleibt die Liebe“, die drei Pünktchen haben so etwas Schleimig-Melancholisches, was dem unvermittelten, pünktchenlosen „Und draußen lauert die Sünde“ irgendwie abgeht. Analog ziehe ich „...denn keiner ist ohne Schuld“ dem Titel „Denn keiner ist ohne Sünde“ vor, aber ich bin eben protestantisch, und vielleicht ist das Geschmackssache. (Sie-nannten-ihn-Filme, für die Systematiker unter Ihnen, sind prinzipiell pünktchenlos.)

Nun will ich natürlich nicht behaupten, daß alle Filme mit solchen Titeln schlicht Scheiße seien – keine Kollektivurteile (Goldhagen!), man muß differenzieren, das haben wir doch schon auf dem Gymnasium gelernt! Über „Man nannte ihn Hombre“ von Martin Ritt, mit Paul Newman, sagt unser Lexikon beispielsweise: „Unter Vermeidung einer genreüblichen Idyllisierung verdichtet der Film die Ereignisse zu einer unsentimentalen, bestürzend realistischen Studie über menschliche Verhaltensweisen“ – aber keine Angst, dieser Western ist tatsächlich gut.

Oder „Und dennoch leben sie“, von Vittorio de Sica, mit Sophia Loren; oder der schon erwähnte James-Dean-Film „...denn sie wissen nicht, was sie tun“ – die sind doch ganz in Ordnung. Sollte meine Ausgangshypothese („filmische Erniedrigte und Beleidigte“) falsch sein? Keineswegs, die Lösung ist einfach: Das sind ja keine deutschen Filme, der Titel wurde ihnen angetan. Merke: Filme, deren Originaltitel mit „Und“, „Denn“ oder „Sie nannten ihn“ beginnen, sind in jedem Fall zu meiden!

Und im übrigen, trotz aller Differenziererei, findet sich unter dern 140 Und-Filmen nicht mehr als eine Handvoll akzeptabler. Schließlich kann uns auch die Poesie von Titeln wie „...und keine Stellung war ihr fremd“, „...und mehrmals täglich quietschen die Matratzen“ kaum darüber hinwegtäuschen, daß es sich hierbei wahrscheinlich nicht um ethisch anspruchsvolle, sozialkritische Filme handelt, sondern um frauenfeindliche Machwerke, was ich als Huma- und Feminist ablehne. Wenngleich ich nicht verhehlen will – der alte Adam steckt eben tief drin –, daß ich mich heute, wo Filme wie „Twister“ oder „Waterworld“ auf deutsch „Twister“ oder „Waterworld“ heißen, der Kreativität und Poetizität einer großen deutschen Filmvergangenheit, wie sie sich auch und gerade in den Titeln niederschlug, nicht ohne eine gewisse Wehmut erinnere; und Erinnerung, wie Richard von Weizsäcker so richtig gesagt hat, ist der Schlüssel zur Vergebung: „Denn sie sollen getröstet werden“. Kurt Scheel