■ Israel: Netanjahu rettet sich in aggressive Siedlungspolitik
: Ein großer Patriot

Wer von Jerusalem nach Bethlehem fährt, sieht links einen Hügel, der keinem anderen in der Gegend gleicht. Er ist rund und mit Bäumen bedeckt, eine Seltenheit in dieser kahlen Landschaft. Er heißt auf arabisch Jebel Abu-Ghneim – Ziegenvaterberg. Nach der israelischen Annexion Ost-Jerusalems wird er auf hebräisch Har Choma – Mauerberg – genannt. Jetzt steht dieser Hügel im Mittelpunkt eines Konfliktes, der zu einem Blutbad führen kann, das den „Friedensprozeß“ beenden würde.

Seit der israelischen Annexion haben alle israelischen Regierungen planmäßig das arabische Ost-Jerusalem mit jüdischen Siedlungen umzingelt. Damit sollen „Tatsachen auf den Boden“ (eine beliebte zionistische Parole) geschaffen werden, die den Traum von Ost-Jerusalem als zukünftige Hauptstadt Palästinas endgültig zerstören sollen. Dieser Ring jüdischer Siedlungen ist beinah geschlossen. Har Choma ist die letzte Lücke. Warum aber gerade jetzt? Das hat zwei Gründe. Der erste ist politisch. Unter starkem US- Druck mußte Bibi Netanjahu den Großteil der Stadt Hebron räumen. Das steht zwar in den Oslo-Verträgen, aber für viele seiner Parteigenossen war das Verrat. Auf den Mauern Jerusalems konnte man lesen: „Bibi ist ein Verräter“. So wie es einst über Rabin hieß. Eine unangenehme Erinnerung.

Es war schon so weit, daß Netanjahu es nicht wagte, den 2.000köpfigen Parteizentralrat einzuberufen. Da kam er auf die geniale Idee, den Bau einer großen jüdischen Siedlung auf dem Mauerberg zu genehmigen. Eine Provokation, die in einer blutigen Auseinandersetzung enden kann. Aber Bibi strahlt. Über Nacht ist er wieder zum Held der extremen Rechten geworden. Der Zentralrat des Likuds wurde einberufen und glich einer römischen Arena, die Cäsar zujubelte. Die jämmerliche Arbeitspartei kann nicht dagegen auftreten, da ja Parteigenosse und Ex-Bürgermeister Teddy Kollek die Bebauung des Hügels geplant hatte. Nur israelische Friedensgruppen und Palästinenser demonstrieren beinah täglich zu Füßen des Hügels.

Der zweite Grund ist persönlicher. Netanjahu ist in äußerst üble Affären verstrickt. Er hat sich scheinbar von einem Koalitionsgenossen, der wegen Bestechung vor Gericht steht, vorschreiben lassen, wer der neue Generalstaatsanwalt werden soll. Die Polizei untersucht den Fall, Bibi wurde verhört und wird vielleicht auch angeklagt.

Was tun zynische Politiker in so einer Lage? Was sie seit je getan haben: einen Konflikt provozieren, der die Wut der Massen gegen den „äußeren Feind“ lenkt. Der englische Kritiker Samuel Johnson hat vor mehr als 200 Jahren gesagt: „Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Schuftes.“ Benjamin Netanjahu ist ein großer Patriot. Uri Avnery