Rechter Täter nicht ausgeschlossen

Im Haus der Marzahner PDS wurde ein Buchhändler angeschossen und schwer verletzt. Polizei hält Tat aus rechter Szene für möglich. Ein Racheakt für die Auseinandersetzungen vom Wochenende?  ■ Aus Berlin Jens Rübsam

Immer und immer wieder dieselbe Nachricht. Immer wieder die Meldung aus dem Radio, daß Klaus Baltruschat, 63, der Buchhändler aus dem Haus, am Mittwochmorgen bei einem Attentat schwer verletzt wurde. Nüchtern teilt der Nachrichtensprecher mit, ein rechtsradikaler Hintergrund sei nicht auszuschließen.

Wie oft sie diese Meldung heute schon gehört haben? Keiner der PDSler weiß es so genau. Seit sie zusammensitzen in ihrem kleinen Büro in der PDS-Geschäftsstelle Marzahn, ist das Radio eingeschaltet, läuft die Nachricht vom Anschlag im Zwanzig-Minuten-Takt. Jedesmal wenn von Klaus Baltruschat, dem Freund und Genossen aus dem Haus, die Rede ist, wird es still im Raum. Viel Neues erfahren Norbert Seichter, der PDS-Geschäftsstellenleiter, Stefan Liebich, der Vorsitzende der PDS-Marzahn, und Dagmar Pohle, die stellvertretende Vorsitzende, nicht. Nur das, was sie längst schon wissen: Ein bislang unbekannter Täter ist am Mittwoch morgen, gegen 9.15 Uhr, in das Haus Alt-Marzahn 64 eingedrungen, hat auf den 63jährigen Buchhändler geschossen – ein erster Schuß in den Oberarm, ein zweiter in die Brust. Abgefeuert aus einer Schrotflinte oder einer Pumpgun. Klaus Baltruschat wurde mit schweren Verletzungen in eine Klinik eingeliefert. Die Ärzte mußten ihm die linke Hand und zwei Finger der rechten Hand amputieren.

Der Täter konnte unerkannt entkommen. Die Polizei ermittelt wegen versuchten Mordes. Womöglich kommt der Täter aus rechtsgerichteten Kreisen. Davon geht Justizpressesprecher Rüdiger Reiff aus. „Ein gezielter Anschlag, der im Zusammenhang mit den Vorfällen in Hellersdorf steht, ist das Wahrscheinlichste“, sagte er gestern.

Die PDS von Berlin-Hellersdorf hatte vergangenen Samstag zu einer Kundgebung gegen die Jungen Nationaldemokraten (JN) aufgerufen, die unter dem Motto „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ durch den Plattenbaubezirk marschieren wollten. Auf Anraten der Polizei hatte die JN ihre Veranstaltung in einen Saal verlegt.

War das Attentat als Racheakt geplant? In dem Haus Alt-Marzahn 64 befinden sich neben dem linken „Kleinen Buchladen“ von Klaus Baltruschat auch die PDS- Bezirksgeschäftsstelle und das Wahlkreisbüro von Gregor Gysi, dem Chef der PDS-Bundestagsgruppe.

Immer wieder dieselbe Nachricht: „Klaus B. wurde schwerverletzt...“ Stefan Liebich schüttelt den Kopf. „Verletzt? Mensch, das klingt alles so harmlos. Der Klaus war doch ein leidenschaftlicher Handballspieler“, sagt Stefan Liebich nachdenklich. Und Norbert Seichter erzählt vom Telefonat mit Käthe Baltruschat, seiner Frau. Sie will den Buchladen so schnell wie möglich wieder öffnen. Sie will nicht kapitulieren.

Ratlosigkeit herrscht am Mittwochabend im PDS-Geschäftsstellenbüro. Hat der Anschlag einen politischen Hintergrund? Niemand will sich festlegen, solange nichts bewiesen ist. Klar, alles deutet auf einen Racheakt mit rechtsradikalem Hintergrund hin. Der anonyme Bekenneranruf am Mittag: „Schade, daß es heute früh nicht geklappt hat. Wer Gewalt sät, wird Gewalt ernten“; die ersten Aussagen des Opfers, der Täter sei „vom äußeren her“ als Rechtsradikaler zu erkennen gewesen, habe Bomberjacke und Springerstiefel getragen. Nicht zu vergessen die Bandansage des „Nationalen Info- Telefons“: „Das Sache wird ein Nachspiel haben“ und auch die Tatsache, daß der Anschlag in einem PDS-Haus passiert ist.

„Wir sind hier in Alt-Marzahn gut gelitten“, sagt PDS-Geschäftsstellenleiter Norbert Seichter. Keine Schwierigkeiten mit den Nachbarn, keine Probleme mit Rechtsradikalen. Schmierereien am Haus, die seien öfter vorgekommen. Auch ein Judensstern auf dem Büroschild von Gysi. Aber sonst?

„Die machen ihr Ding, ich mache meins“, sagt der Mann, der seine Bulldogge durch die Nacht führt. „Ich bin nicht unbedingt einer Meinung mit der PDS, aber schießt man deswegen auf einen Menschen?“ Das ist es, was auch Gerlinde Abramovici nicht versteht, die im kleinen Textilladen nebenan verkauft. „Der Klaus ist ist ein netter Mensch. Der hat doch nur seinen Buchladen in dem PDS- Haus.“ Daß ihm der Anschlag gegolten hat, will sie nicht glauben. „Daß sich die Schüsse auf Klaus Baltruschat richteten, mag ein Zufall sein. Daß es einen Linksdenkenden traf, war kein Zufall. Daß es einen Menschen traf, der im Haus der Marzahner PDS tätig ist, war ebenfalls kein Zufall“, sagen die Marzahner Genossen.

Der Anschlag von Marzahn ist kein Einzelfall. Am 25. und 31. Januar letzen Jahres sind auf den PDS-Laden im Bezirk Spandau Anschläge verübt worden. Ging beim ersten Mal nur eine Fensterscheibe zu Bruch, waren es später zwei große Scheiben. Nachbarn hörten Jugendliche „Sieg heil“ und „Bald gehört uns die ganze Welt“ grölen und das „Horst-Wessel- Lied“ singen. Der Staatsschutz ermittelt in dieser Angelegenheit noch immer. Die PDS hat inzwischen Innensenator Jörg Schönbohm aufgefordert, zu den Vorfällen in den Stadtteilen Hellersdorf und Marzahn Stellung zu nehmen.