Heute beginnt in Berlin der Prozeß gegen leitende Stasi-Offiziere, die 1980 an der Einbürgerung ausgestiegener RAF-Terroristen in die DDR beteiligt waren. Die Anklage behauptet, die Stasi-Männer hätten die Verhaftung der damals steckbrieflich Gesuchten in der BRD hintertrieben – und damit gegen westdeutsches Strafrecht verstoßen Von Wolfgang Gast

Anklage: Beihilfe zu neuem Leben

Der neue Freund stellt sich als Günter vor. Er hat Einwände. Acht Weiße in Mosambik oder in Guinea-Bissau – das kann gerade jetzt, im Jahre 1980, nicht gutgehen. Die politischen Verhältnisse in den beiden just vom Kolonialismus befreiten afrikanischen Ländern seien noch zu labil, argumentiert Günter, die Konterrevolution stark, und auch die westlichen Geheimdienste bemühten sich um Einfluß. „Es wird für die Leute keine dauerhafte Sicherheit in Schwarzafrika geben“, faßt er zusammen. Und dann fällt der Schlüsselsatz: „Habt Ihr nicht mal daran gedacht, die demobilisierten Kämpfer zu uns zu bringen?“

Dafür stehen Günter und drei seiner Kollegen von der „Firma“ ab heute in Berlin vor Gericht. Denn mit „uns“ meint Stasi-Mitarbeiter Günter die DDR, die „demobilisierten Kämpfer“, das sind acht Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF), die in der Bundesrepublik zu jener Zeit per Steckbrief als Top-Terroristen gesucht werden. Susanne Albrecht wird die Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto im Juli 1977 vorgeworfen. Monika Helbing und Silke Maier Witt sollen an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im Herbst desselben Jahres beteiligt gewesen sein. Christine Dümlein, Ralf Friedrich, Werner Lotze, Ekkard Seckendorff-Gudent und Sigrid Sternebeck sind wegen „mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung“ international zur Fahndung ausgeschrieben.

Aussteigen wollen die acht, sie sind vom Leben in der Illegalität desillusioniert. In der RAF selbst wird deren Gang in den Untergrund ohnehin als „Fehler“ bezeichnet. Die verbliebenen Aktivisten wollen in der Bundesrepublik eine neue Offensive starten. Mit Anschlägen auf Nato-Militäreinrichtungen will die RAF ihren Einfluß auf die linksradikalen Bewegungen in Westdeutschland stärken. Vorher aber muß eine Lösung für die „Fehler“ gefunden werden.

Mühsam stellen die Militanten den Kontakt zu Otelo de Cavalho, einem der Führer der portugiesischen Nelkenrevolution (1974), her. Den acht Aussteigewilligen eröffnet sich dann die vage Möglichkeit, in Portugals ehemaligen Kolonien Mosambik oder Guinea- Bissau ein neues Leben anzufangen. Einige beginnen, Portugiesisch zu lernen. Doch dann, so erinnert sich Inge Viett, die als Mitglied der „Bewegung 2. Juni“ gerade zur RAF dazugestoßen war, „waren die Pässe, mit denen die acht reisen sollten, in den unübersichtlichen internationalen Beziehungskanälen verlorengegangen und die Kontakte abgestürzt“. Wohin also mit den „Fehlern“?

Den Kontakt zur Staatssicherheit der DDR hat Inge Viett als Mitglied der „Bewegung 2. Juni“ unfreiwillig bei einem Grenzübertritt nach Berlin hergestellt: Ihre gefälschten Papiere fliegen auf. Nach einem zweistündigen Gespräch mit einem Oberst des MfS hat sie den Eindruck, „daß wir in Zukunft relativ sicher die Grenzen zur DDR passieren könnten“. 1978, nach einer Befreiungsaktion in der Berliner Haftanstalt Moabit, werden wenige Tage später mehrere Mitglieder des „2. Juni“ in Bulgarien aufgespürt und mit Billigung der dortigen Behörden von BKA-Beamten festgenommen. Viett und andere entgehen der Festnahme, sie werden aber nach ihrer überstürzten Abreise an der ČSSR-Grenze von den Prager Sicherheitsbehörden festgesetzt – bis Inge Viett verlangt, daß der Geheimdienst der DDR eingeschaltet wird. Viett und Genossinnen werden von der Stasi aus dem Prager Gefängnis geholt und zur Erholung für rund zwei Wochen in ein Ferienobjekt der DDR gebracht. Anschließend reisen sie in den Nahen Osten aus.

Zwei Jahre später werden die Kontakte reaktiviert, Inge Viett reist nach Ost-Berlin, um dort die Möglichkeit einer Hilfestellung für die acht aussteigewilligen RAF- Mitglieder zu eruieren. Die DDR sollte helfen, sie in einem afrikanischen Land unterzubringen. Zu ihrer Überraschung heißt dann aber das Angebot, „die demobilisierten Kämpfer zu uns zu bringen“.

Wenig später werden die acht in dem ersten Arbeiter-und-Bauern- Staat eingebürgert: unter falschem Namen, an verschiedenen Orten und unter der stetigen Aufsicht des MfS. Auch Inge Viett folgt ihnen später in die DDR, in der sie zuerst unter dem Namen Eva Maria Sommer und später als Eva-Maria Schnell lebt. Bis zum Herbst 1989.

Das Asyl für die einstigen Militanten wird in der DDR als eines der bedeutendsten Staatsgeheimnisse gehütet; die politische Führung der DDR weiß um die Brisanz des Vorgangs, schließlich hat die DDR alle internationalen Anti-Terror-Konventionen unterzeichnet. Die Hilfe für die Aussteiger hätte, wäre sie bekanntgeworden, die DDR in arge diplomatische Nöte gebracht. Mit der Wende 1989 fallen die in der DDR untergekommenen früheren RAF-Mitglieder den bundesdeutschen Ermittlern quasi in den Schoß. Der Tip eines Stasi-Mitarbeiters löst eine umfangreiche Überprüfung aller DDR-Einbürgerungsvorgänge aus, an deren Ende die Festnahme aller Aussteiger steht. Die RAF-Stasi-Connection schlägt ungeheure publizistischen Wellen, vor allem, als bekannt wird, daß auch aktive RAF- Mitglieder in der DDR im Panzerfaustschießen und im Umgang mit Sprengstoffen ausgebildet wurden.

Die westdeutschen Ermittler strengen Gerichtsverfahren gegen die Aussteiger an, sie werden zu zeitlich befristeten Haftstrafen verurteilt. Als letzte kommt im Januar 1997 Inge Viett frei; wie die anderen wurde sie im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen vorzeitig aus der Haft entlassen.

Parallel ermitteln die Behörden aber auch gegen die MfS-Offiziere. Heute, fast sieben Jahre nach den spektakulären Festnahmen in der DRR, wird vor dem Berliner Landgericht der Prozeß gegen die an der Einbürgerung beteiligten Stasi-Mitarbeiter eröffnet. Angeklagt sind der Leiter der für die Terrorabwehr zuständigen Stasi- Abteilung XXII, Harry Dahl (67), und seine früheren Kollegen Günter Jäckel (62), Hans-Hermann Petzold (52) und Gerd Zaumseil (48). Strafvereitelung wird ihnen vorgeworfen, sie werden beschuldigt, „über verschieden lange Zeiträume an der Aufnahme, Einbürgerung und der nachfolgenden Absicherung und Betreuung von insgesamt acht aufgrund von Haftbefehlen des Bundesgerichtshofes steckbrieflich gesuchten früheren Mitgliedern der Rote Armee Fraktion mitgewirkt zu haben“. Weiter sollen die Angeklagten „eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verhinderung der Enttarnung der Gesuchten organisiert haben“.

Ein erster Anlauf zur gerichtlichen Verfolgung der Stasi-Offiziere platzt im August 1996. Weil für den angeklagten Harry Dahl kein Verteidiger zur Verfügung steht, wird das Verfahren nach nur 15 Minuten vertagt – auf heute.