„Macht war lange Erotikfaktor Nummer eins“

■ Barbara Schaeffer-Hegel, Professorin für Erziehungswissenschaften an der Technischen Universität von Berlin, erforscht seit vielen Jahren das Thema Frauen und Macht

taz: Die Front National ist eine extrem frauenfeindliche Partei. Nach ihrer Überzeugung gehören Abtreibungen verboten und Frauen hinter den Herd. Wie kommt es, daß Frauen wie Catherine Mégret sich für solche Männerbündelei funktionalisieren lassen?

Schaeffer-Hegel: Da kann man genauso fragen: Wie kommt es, daß Frauen solche Männer heiraten? Frauen leben doch noch recht häufig mit Männern zusammen, und da bestimmt das Angebot die Nachfrage. Es ist normal, daß Frauen in allen Schichten und Positionen der Gesellschaft zu finden sind. Zudem kommen rechte Ideologien den Frauen in gewisser Weise entgegen, weil sie die weibliche Produktivität – die Mutterschaft – politisieren. Das haben schon die Nazis gemacht.

Dennoch wird Catherine Mégret ihre Politik auf Kosten von Frauen machen. Eine alleinerziehende berufstätige Mutter wird sich für solch eine „Aufwertung“ bedanken.

Sicher. Dennoch verstehe ich die moralische Empörung nicht ganz. Frauen sind nicht die besseren Menschen. Und die Rolle als „Strohfrau“ oder Stellvertreterin des Mannes ist auch nicht neu. Jutta Limbach hat kürzlich bei einem Vortrag auf Königin Artemisia hingewiesen, die Witwe des Königs Mauselos, die ihrem toten Gatten das erste Mausoleum baute und als Inbegriff für Anhänglichkeit und Treue in die Geschichte einging. Artemisia hat sich seine mit Wein vermischte Asche in einer öffentlichen Zeremonie einverleibt und sich damit die Macht des Königs angeeignet.

Artemisia ist also die Ahnin all derer, die als Witwe, Gattin, Tochter oder Schwester eines bedeutenden Mannes an die Macht kamen: Banderanaike, Corazon Aquino, Indira Ghandi, Aung San Suu Kyi, Benazir Bhutto ...

In den Ländern der Dritten Welt, vor allem in Asien, spielt die Familie noch eine größere Rolle als hier. Die Macht bleibt in der Sippe, und wenn kein Mann mehr da ist, übernimmt sie halt eine Frau. In den sogenannten Entwicklungsländern gibt es deswegen zu unserer Schande mehr Staatschefinnen als in den sogenannten entwickelten Ländern.

Wie kommt es, daß die Frauen in politischen Spitzenpositionen mehrheitlich so eklig sind? Benazir Bhutto, Margret Thatcher, Tansu Çiller ...

... sind sicher keine leuchtenden Beispiele für feministische Politik. Trotzdem ist es ein Plus, wenn mal eine Frau an der Spitze steht.

Finde ich nicht. Macht ist doch kein Wert an sich, im Gegenteil.

Aber eine einzelne Frau an der Spitze kann nicht das System als Ganzes ändern. Und: Eine progressivere Frau als Margaret Thatcher hätte sich sicher nicht in diese Position hocharbeiten können. Eine, die die akzeptierten Standards und konservativen Positionen nicht vertritt, wäre als unerträgliche Bedrohung empfunden worden. Eine Gesellschaft von der Spitze her zu verändern kann wohl nur einem Mann gelingen. Gorbatschow als Frau – undenkbar.

Einzelne Frauen kommen nur hoch, wenn sie männliche Standards nicht in Frage stellen. Wie hoch muß also der Anteil der Frauen in der Politik sein, damit sich etwas ändert?

Wenn mindestens ein Drittel Frauen in einem Gremium, Parlament oder in der Regierung sitzen, dann beginnt sich etwas zu verändern. Dann sind sie nicht so von männlicher Unterstützung abhängig, sie trauen sich mehr. Auch wenn dann vielleicht manche Frau drunter ist, die nicht unbedingt die erste Wahl ist.

Da komme ich zu einem anderen Ekelthema: der Konkurrenz von Frauen untereinander. Männer haben keine Probleme, sich zu zerstreiten und anschließend in der Kneipe traulich zusammenzusitzen. Wenn Frauen sich zerstreiten, geht das bis ins Mark.

Das ist ein abendfüllendes Thema, das jede frauenbewegte Frau zum Teil sogar am eigenen Leibe hat erfahren müssen. Frauen definieren sich immer noch über Männer und bauen damit eine subtile Konkurrenz auf. Frauen versuchen Konflikte viel zu lange herunterzuspielen, nach dem Motto „Wir sind erstens alle gleich und zweitens alle Freundinnen.“ Verletzungen, die uns Frauen zufügen, gehen oftmals tiefer als Verletzungen durch Männer. Letztere stecken wir leichter weg. Und: Wir haben immer noch keine Übung, mit Seilschaften oder Netzwerken umzugehen. Junge Frauen trauen sich nicht zu sagen: Diese erfolgreiche Frau ist eine Chance, sie könnte mir nützen, ich unterstütze sie. Statt dessen fragen sie: Was hat die, was ich nicht habe?

Wenn nun aber eine durch Seilschaften an die Spitze gelangt ist, dann berauscht sie sich oft genauso sinnlos an Macht und Geld.

Frauen gehören nicht alle derselben Klasse an, sie leben in extrem unterschiedlichen Welten. Ein breites Bündnis von Frauen können wir nur dann schaffen, wenn wir zunächst einmal die Unterschiede zwischen uns anerkennen. Frauen wie Catherine Mégret lassen sich auf krasse Weise instrumentalisieren. Aber jede Frau in der Politik wird noch eine geraume Weile sich in irgendeiner Weise instrumentalisieren lassen müssen.

Wie kommen wir da raus?

Geschichtliche Veränderungen dauern nun mal lange. Für eine egalitäre und gleichberechtigte Gesellschaft müssen nicht nur fast alle Steuervorschriften, Sozialhilferegelungen oder Familienfördermaßnahmen geändert werden, sondern auch fast alle Männer und fast alle Frauen mitsamt ihren psychischen Dispositionen und sexuellen Neigungen. Als junge Frau konnte mich ein Mann mit zwei Doktortiteln noch sehr beeindrucken. Heute sage ich meinen jungen Studentinnen: Der Vater eurer Kinder sollte möglichst ein bißchen jünger, ein bißchen dümmer und ein bißchen ärmer sein als ihr! Wenn ihr einen sozial höherstehenden und reicheren Mann heiratet, sitzt ihr nachher zu Hause, denn er verdient das Geld.

Aber es gibt immer noch zu viele Frauen wie Catherine Mégret – Gefährtinnen von Diktatoren, Generälen, Unternehmern oder Politikern –, die Macht erotisch finden und ihre soziale Unterlegenheit auf diese Weise kompensieren. Die Psychoanalyse nennt das Identifikation mit dem Aggressor.

Macht war lange der Erotikfaktor Nummer eins. Das muß man historisch sehen: Frauen konnten über Jahrtausende besser überleben, wenn sie und ihre Kinder über männlichen Schutz verfügten. Die Verhältnisse in diesem Jahrhundert haben sich grundlegend verändert, das Verhalten hinkt hier noch ein wenig hinterher. Aber ich sehe bei vielen jungen Frauen, daß sie sich ihre Männer nach ganz neuen Kriterien aussuchen: Ist er fürsorglich? Übernimmt er Kinderaufzucht zur Hälfte? Auch die jungen Männer ändern sich, weil sie sehen, daß es zu ihrem Schaden ist, wenn sie sich ein Hausfrauchen halten und nachher die Hälfte ihres Gehaltes für Alimente und Unterhaltszahlungen draufgeht. Allerdings gehen viele familienpolitische Maßnahmen derzeit genau in die entgegengesetzte Richtung, und das ist sehr ärgerlich.

Wie kriegen wir mehr Frauen in die Politik?

Die Hauptbedingung ist, daß Männer sich zu 50 Prozent um die Kinder kümmern. Die grundlegende Entscheidung über die politischen Möglichkeiten von Frauen werden nicht im öffentlichen, sondern im privaten Raum gefällt. Natürlich wird der öffentlich beeinflußt, das geht dialektisch hin und her. Zweite Bedingung: Gesetze und Arbeitsbedingungen müßten so geändert werden, daß jeder und jede für die eigene Lebenssicherung aufkommen kann. Interview: Ute Scheub