Der große Frust der Albaner

Der Zusammenbruch dubioser Geldinstitute betrifft 50 bis 90 Prozent der Familien im ganzen Land. Auf die Hoffnung, schnell reich zu werden, folgt die Wut auf die Regierung  ■ Aus Tirana Thomas Schmid

Natürlich wußte jeder, daß alles wie ein Luftballon, den man immer weiter aufbläst, mal platzen würde. Und als es soweit war, wollte es doch keiner wahrhaben. Da hieß es: „Uns hat es ja niemand erklärt“, oder: „Hat nicht die Regierung selbst diesen Gesellschaften eine Betriebslizenz erteilt?“ Seit Wochen protestieren die Albaner landauf, landab gegen die Regierung, die zwei private Geldinstitute schloß, die astronomisch hohe Zinsen anboten. Und vor acht Tagen ist mit „Gjallica“ nun eine „Pyramide“ zusammengebrochen, die als einigermaßen seriös galt, weil sie ihr Geld nicht nur anhäufte, sondern auch investierte und somit nicht unter das im Januar verabschiedete Gesetz fiel, mit dem die Regierung den Finanzjongleuren das Handwerk zu legen versprach. Und so ist die Stadt Vlorä, in der die bankrotte „Gjallica“ ihren Hauptsitz hatte, nun zum Zentrum der Revolte geworden.

50 bis 90 Prozent – die Schätzungen liegen weit auseinander – aller albanischen Familien haben ihr Geld dubiosen Finanzinstituten anvertraut. Alle fühlen sie sich nun betrogen. Da sind die verhärmten Alten, die um ihr ganzes Sparguthaben fürchten und nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll. Da sind diese Massen ganz gewöhnlicher Leute, die sich noch nicht damit abgefunden haben, daß sie sich verkalkuliert haben, und da ist diese frustrierte Jugend, die ihrer Aggression freien Lauf ließ.

Vasil gehört zur letzten Gruppe. Breitbeinig steht er am Boulevard der gefallenen Märtyrer, der Champs-Élysées von Tirana, in Lederjacke, die beiden Daumen in den Jeans-Bund gesteckt. Unübersehbar markiert er den Typ Macho. Vasil hat Geschichte gemacht. 1990 sei er derjenige gewesen, der mit einem Laster das Tor der Deutschen Botschaft aufgedrückt habe. Danach stürmten damals Tausende Albaner westliche Botschaften. Es war der Anfang vom Ende der härtesten und bizarrsten kommunistischen Diktatur im Nachkriegseuropa. Ja, damals stand Vasil die Welt offen, und er türmte nach Mannheim. Heute hilft er seinem Freund Agim, der eine der zahlreichen Fast-food-Imbißbuden besitzt, die sich im Stadtzentrum zu Dutzenden drängeln und von der Goldgräberstimmung künden. Sie heißen „Amerika“, „Las Vegas“, „Freedom“, „Clinton“ und „Dollar“. Wie Agim wollte auch Vasil eine Bude eröffnen, aber größer und schöner als die andern, und so hat er das Geld, das er sich in Mannheim vom Munde abgespart hat, erst mal arbeiten lassen.

Das heißt, er legte es bei der „Stiftung Volksdemokratie“ von Rrapush Xhaferri an. Der bot – unübertroffen – 300 Prozent Zinsen für drei Monate an. Und wie die meisten hat Vasil, statt sich die Zinsen auszahlen zu lassen, diese seinem Grundkapital zugeschlagen, um dessen wunderbare Vermehrung zu beschleunigen. Über 300.000 Albaner haben schließlich ihr Erspartes dem Finanzakrobaten anvertraut. „Die drehten Däumchen“, wundert sich der Physikprofessor Rexhep Mejdani, Chef der Sozialistischen Partei und Oppositionsführer. „Sie starrten immerzu auf ihren Kalender und rechneten sich aus, wie reich sie inzwischen waren.“ Als der Kollaps der fidelen Sparkasse absehbar war, schlug die Regierung zu und beschlagnahmte das Konto Xhaferris, auf dem sich 265 Millionen Dollar befanden.

Nun kommt Vasil nicht mehr an sein Geld ran und gibt der Regierung die Schuld. So ist er wie Zehntausende auf den Skanderbeg- Platz im Zentrum der Hauptstadt gezogen. Für die Zertrümmerung der Fassaden des Kulturpalastes hat er sich klatschnasse Klamotten eingehandelt. Die Polizei ist mit Wasserwerfern angerückt. „Erst haben sie uns die Stimmen gestohlen“, sagt er, „und jetzt noch die Gelder.“ Das ist längst der Hauptslogan der Opposition geworden, die vor acht Monaten, wie auch die OSZE attestierte, tatsächlich zum Opfer eines umfassenden Wahlbetrugs wurde. Doch von der Opposition, die aus den Protesten politisches Kapital schlagen will, hält Vasil gar nichts. Wie die meisten Demonstranten hat er von der Politik die Schnauze voll. Aber betrogen fühlt er sich schon.

Agim hat die bescheidenen Profite, die seine Fast-food-Bude abwirft, ebenfalls bei Xhaferri angelegt. „Das haben doch alle gemacht“, begründet er seine Dummheit, „das war wie eine kollektive Hysterie.“ Auch die spektakuläre Pleite von Maksude Kadema am 10. Januar, die am Schluß nur noch 17 Prozent geboten hatte, ließ bei ihm kein Warnlämpchen blinken. „Die Sude“, sagt er, sie beim Kosenamen nennend, „war doch gerade 32 Jahre alt, zudem eine Zigeunerin.“ Das wurde ihr selbstredend erst post festum angekreidet.

Xhaferri ist da ein anderes Kaliber. Der 62jährige hat für seine Fußballmannschaft Spitzenkicker eingekauft und vielen in Not geratenen Familien Geld zugesteckt – unauffällig, aber doch so, daß es schließlich ganz Albanien erfuhr. So hat er sich als Robin Hood einen Namen gemacht. Nur hatte der echte Robin Hood sich das Geld bei den Reichen geholt, Xhaferri hingegen bei den Armen.