Glögg auf dem Plateau von Geilo

In Norwegen laden leere Skipisten und Loipen zum Wintersport ein. Querfeldeintouren bringen müde Knochen auf Trab, besonders wenn es die Hügel mit Skiern rauf statt runter geht  ■ Von Günter Müller

Weiche Schneehügel, karge Weite mit klarer Luft, dem leichten Geruch von verbranntem Holz, vereiste Seelandschaften, Langlauf bei verträumter Kälte. Im kleinen Geilo, zwischen Oslo und Bergen, und den zwölf Tagen kombinierten Alpin- und Langlaufskis gibt es Klischees in Hülle und Fülle: Endlich einmal Norwegen im Winter.

Schon auf der Fähre ab Kiel, ein kleiner, durchaus erträglicher Einstieg in die mondäne Welt der Kreuzfahrt, sind die Gedanken an den Alltag Vergangenheit, spätestens aber nach dem Empfangs- Glögg, einem Glühwein, hin und wieder ohne Wein, und dem Buffet auf der „Prinsesse Ragnhild“. Dazu am Abend der knapp 19stündigen Überfahrt in der kleinen Panorama-Bar beim Daiquiri der Auftritt von Teddy Malone, der kleinen, nicht ganz so erfolgreichen „Schwester“ von Rockröhre Tina Turner. Am Morgen danach stimmt die knapp einstündige Einfahrt in den Oslo-Fjord endgültig auf das Land der Feen und Trolle ein. Mit verschämten kleinen Sonnenstrahlen, weißen Nebelschwaden und einem traumhaften Blick auf das verschneite Festungskastell präsentiert sich Norwegen mit Bildern wie aus einem übertriebenen Glanzprospekt.

Die Hütten in dem weitläufigen Hotelgelände am Stadtrand des kleinen Geilo sind eigentlich für acht Nasen gedacht. Wo die hin sollen, weiß kein Mensch. Mit sechs, wie vorsichtshalber geplant, geht es gut. Am Abend verbreitet der Holzofen gelöste Gemütlichkeit, das gemeinsame Kochen und Essen nimmt eventuelle Hemmungen vor der fremden Reisegruppe.

Schnell hat jeder begriffen, warum im Norden Melancholie so weit verbreitet ist. Erst ab halb neun quält sich die Sonne über den Horizont. Dann klebt sie an der Hügelkette und schleicht bis halb vier daran entlang. Ab fünf ist es dann stockfinster, viel zu früh für lichtvrwöhnte Mitteleuropäer.

Am Ufer des unendlich langen, unendlich verschneiten Sees von Geilo, im langen Tal in Richtung des Nachbarortes Ustaoset, machen wir die ersten tastenden Schritte auf den Langlaufskiern. Unter der Obhut von Berit, die auf möglichst gnädige Art jedem das kleine Einmaleins der Skilanglaufkunst nahebringen will, müht sich jeder nach Kräften, um für die Ausflüge in Manier von Reinhold Messner gerüstet zu sein. Das simple Motto: Bewegt euch wie fröhliche Kinder auf dem Weg zur Schule. Als wäre einer fröhlich, wenn er zur Schule muß. Besonders bei den Abfahrten, die eigentlich noch keine sind, fühlt sich selbst ein angeblicher Ski-Profi schnell wie ein Pudel bei der ersten Dressurstunde.

Berit bietet uns auch eine Tagestour querfeldein, nichts Überdimensionales, aber eben weg von den ausgeschilderten Wegen und Pfaden. Mit Kompaß und Karte geht es dorthin, wo die dünnen Langlaufbretter ein Desaster sind und nur breitere Tourenskier am steten Einbrechen und Fluchen hindern. Die weiße Weite der unberührten kargen Landschaft, wo nicht immer ein Skilift die Blicke kreuzt, die Schneeverwehungen – all das entschädigt für die körperlichen Strapazen.

Neid kommt nur auf, wenn die Einheimischen leicht und locker vorbeipreschen. Sie ignorieren einfach die Steigung, unterstützt in ihrer lockeren Gangart von ihrem Huskie, der im Geschirr begeistert nach vorne stürmt. Dies animiert, aber aus der geplanten Tour mit einem Huskie-Gespann wird leider nichts, weil die norwegischen Hundehalter längst nicht nur der Natur, sondern auch dem Geld verbunden sind und für einen einstündigen Kurzausflug einen unverschämten Preis verlangen.

Für ungewohnte Mühen entlohnt eine Rast in der Prestholtseter-Hütte, nachdem stolz die zehn, zwölf absolvierten Kilometer im heimlichen Tagebuch verbucht worden sind. Bei geschwärztem Holz, niedrigen Balken, mit Kerzen auf dem Tisch, Holzscheiten im Kamin und wohltuend wenig Deutsch packt einen schnell die Sehnsucht nach einem Mehrtagestrip mit Übernachtungen im Matratzenlager. Aber es bleibt halt beim kurzen Wunsch, einsam und ursprünglich ist es ohnehin. Allein kommen sich auch die wenigen Ski-Freaks in den alpinen Gebieten vor, denn Anstehen ist hier ein Fremdwort. Im Gegensatz zu den Alpen gibt es in Geilo, einem der wenigen norwegischen Orte mit alpinen Liften, kein Gedränge und Geschubse. Während die Preise der Skipässe locker mithalten können, liegt das Pistenniveau irgendwo zwischen Mittelgebirge und Alpen. Wer Herausforderung auf den Brettern sucht, ist falsch am Platz, aber Austoben ist durchaus angesagt. Lediglich der Einkehrschwung fällt kürzer aus, denn das Stemmen von Kurzen ist verpönt. Es bleibt beim Glögg oder Kaffee.

Wem der kurze Ausflug ins alpine Reich dann doch nicht genug ist, was leicht passieren kann, läßt abends die letzten Kräfte auf der beleuchteten Abfahrtspiste (leider nur einmal in der Woche) oder Langlaufloipe, das aber jeden Tag. Der Extraausflug sorgt bei 20 Grad minus schnell für Eiszapfen an Nase und Augenbrauen, aber auch für bekannte wohltuende Mattigkeit.

Die über eintägige Rückkehr mit Bus und Fähre bietet Gelegenheit, sich von der eigenwilligen Atmosphäre des Landes zu verabschieden. Selbst die Seele hat genug Zeit mitzukommen, wenn sie auch noch ein paar Tage in Norwegen herumbaumeln wird.

BusArt, Tel.: 030/3959091, bietet ab 1. Februar bis Ende März wöchentlich Urlaube in Geilo und Ustaoset an. Weiteres Ziel in Norwegen: Filefjell im Jotunheimen-Gebirge. Ab Berlin, Zustieg in Kiel möglich.