Pyramiden-Fonds einträglicher als Hütchenspiele

■ Im Armenhaus Albanien wurden Hunderttausende um ihre Spareinlagen geprellt

Knapp 5.000 Albaner haben am Sonntag auf dem Skanderberg- Platz in Tirana ihrem Ärger über den Verlust ihrer Ersparnisse Luft gemacht. Lautstark machten sie die Regierung für die Serie dramatischer Betrugsskandale mitverantwortlich. „Enver Hodscha hat versprochen, wir werden mit goldenen Gabeln essen“, sagte einer der Demonstranten, „unter Berisha ist es noch schlimmer.“ Beim Zusammenbruch dubioser Investmentgesellschaften hatten in den vergangenen Wochen Zehntausende Albaner ihr Geld verloren. Hunderte Millionen Mark verschwanden ins Ausland. Am vergangenen Mittwoch war die bekannteste Gesellschaft „Suada“ zusammengebrochen.

Über die Zahl der Betrogenen und die Höhe der Summen kursieren die wildesten Gerüchte. Bis zu zwei Millionen Menschen, fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung, sollen sich an sogenannten Pyramiden-Investitions-Fonds beteiligt haben. Viele Albaner haben alles verloren. Manche Leute verkauften sogar ihre Häuser und brachten sich bei Familienangehörigen unter, um soviel Geld wie möglich anlegen zu können.

Die Gründer der Investmentgesellschaften sind schillernde Figuren: Einer hatte Geld vom sprichwörtlichen reichen Onkel in Amerika geerbt und auf diese Weise versucht, aus Millionen kurzerhand Milliarden zu machen. Woher eine ehemalige Arbeiterin einer Schuhfabrik ihr Startkapital genommen hat, mit dem sie jetzt eine Pleite in Höhe von hundert Millionen erwirtschaftet hat, weiß keiner.

Die Regierung hat eine Ermittlungskommission ins Leben gerufen als wohl vergeblichen Versuch, Zeit zu gewinnen und sich reinzuwaschen. Nicht zu leugnen ist jedoch, daß die von der Regierung kontrollierten Banken das Geld verwaltet und dabei gute Geschäfte gemacht haben. Der Regierung wird überdies vorgeworfen, von den Einlagen selbst profitiert und damit ihren Wahlsieg finanziert zu haben.

Der Vertreter der Weltbank in Albanien hat die Geschäfte „observiert“, allerdings ohne einzugreifen. Es wurden nämlich weder die Gesetze des Landes noch die des freien Marktes verletzt. Nur wenn jetzt Präsident Sali Berisha den betrogenen Albanern finanzielle Hilfe und Arbeitsplätze verspricht, nennt der Weltbankvertreter das schlicht eine Fata Morgana. hat. Die Existenzgründer haben das meiste Geld ohnehin ins Ausland transferiert.

Der Verlust von Hunderten Millionen Mark ist für die Volkswirtschaft des ärmsten Landes Europas von einer ganz anderen Bedeutung wie ähnliche Betrügereien in Rumänien oder Rußland. Dort hatte vor zwei Jahren die Bevölkerung versucht, die Büros des MMM Investment Fond zu stürmen, nachdem sich die Finanztransaktionen des Fondsgründers, Sergej Mawrodi, einem der reichsten „Geschäftsmänner“ Moskaus, der mit einer 23 Millionen Dollar teuren Werbekampagne Investoren angelockt hatte, als Luftschlösser erwiesen. Nach Schätzungen brachte der MMM-Zusammenbruch 15 bis 20 Millionen Russen um ihre Ersparnisse, also ein Zehntel der Bevölkerung.

Mawrodi wurde Ende 1994 verhaftet und aus dem Gefängnis heraus in die alte Staatsduma gewählt. Doch Mawrodis Kollegen hoben dessen Immunität umgehend auf. Mawrodi befindet sich dennoch in Freiheit. Seine Frau Jelena, ein ehemaliges Model, kandidiert jetzt bei der Duma-Nachwahl im Kreise Tula gegen Schach-As Anatoli Karpow und Jelzins Exleibwächter Alexander Korschakow. Wer Frau Mawrodi im Wahlkampf unterstützt, bekommt für seine Unterschrift 3.000 Rubel (eine Mark) in die Hand gedrückt, erhält den Titel „Agent“ und ein Bündel leerer Vertragsformulare. Mit jeder weiteren Anwerbung eines „Agenten“ verdient sich der Bürger – meist Student oder Pensionär – weitere 3.000 Rubel. Leider ist so ein nettes Happy End im kleinen armen Albanien kaum zu erwarten. Andrea Goldberg