Lübecker Flüchtlingen droht Abschiebung

■ Viele Überlebende des Brandes dürfen nur wegen des Strafprozesses hierbleiben

Berlin (taz) – In der Nacht vom 17. zum 18. Januar 1996 brannte das Flüchtlingsheim am Lübecker Hafen nieder. Zehn Menschen starben. Michael Bouteiller, sozialdemokratischer Bürgermeister der Stadt, erklärte am noch glühenden Haus mit Tränen in den Augen, seine Verzweiflung. Er schwor „zivilen Ungehorsam“, sofern sich der Umgang mit Asylbewerbern nicht ändere – und zwar unabhängig davon, wer für das Feuer verantwortlich ist.

Doch sein Begehr scheiterte bis heute an den Ausländergesetzen: Die meisten der 38 Überlebenden der damaligen Brandnacht sind von Abschiebung bedroht; viele haben nur deshalb einen Aufschub erhalten, um beim Strafprozeß gegen den der Brandstiftung angeklagten Libanesen Safwan Eid als Zeugen aussagen zu können.

Was nach dem Prozeß mit den Hinterbliebenen geschieht, weiß auch der im Strafverfahren federführende Staatsanwalt Michael Böckenhauer nicht: „Auch wenn wir wollten, können wir geltende Gesetze nicht außer Kraft setzen.“

Ob Eid schuldig gesprochen wird, ist nach vier Monaten Prozeßdauer fraglicher denn je: Belastungszeugen hat Böckenhauer keine mehr in petto. Statt dessen zeichnet sich ab, daß die wahren Umstände der Katastrophe weiter ungeklärt bleiben werden. Bürgermeister Bouteiller ficht das nicht an. Er sagte schon unmittelbar nach dem Brand, daß „Humanität“ sich nicht um einen Schuldspruch ranken könne.

Der Lübecker Runde Tisch, der im April 1994 nach dem Brandanschlag auf die Synagoge der Hansestadt gegründet wurde, kümmert sich seit einem Jahr um das Wohl der früheren Hafenstraßenbewohner. Erreicht werden konnte mittlerweile, daß sie nicht mehr in einem Asylbewerberheim leben müssen; sie haben normale Wohnungen bezogen.

Seit gestern läuft in Lübeck eine Aktionswoche im „Gedenken an die Brandopfer“. Schüler und Schülerinnen demonstrierten durch die Fußgängerzone unter dem Motto „Gegen Biedermänner und Brandstifter“. Heute findet in der „Diele“ eine Diskussion mit dem Thema „Ein Jahr nach dem Brandanschlag“ statt; in der Sankt- Petri-Kirche benefizt das Artemis- Quartett mit klassischen Werken für die Solidaritätskasse der Unterstützergruppen. Eine Woche später, am 25. Januar, wird Mamadou Diouck, Mitorganisator der aufsehenerregenden Kirchenbesetzung in Paris, im Börsensaal des Rathauses über das Thema „Wie kann das Bleiberecht durchgesetzt werden?“ sprechen.

Engagement scheint nötiger denn je. Dienstag erst wurde das Haus des Lübecker Bischofs Karl- Ludwig Kohlwage mit Hakenkreuzen beschmiert. Der Kirchenmann hatte in der Vergangenheit öfters die christliche Flüchtlingsarbeit gelobt. JaF