Hoffen auf ein Jahr des Sieges

■ Serbiens Opposition feiert das orthodoxe Neujahr mit der bisher größten Kundgebung

Belgrad (taz) – Hunderttausende haben in der Nacht zum Mittwoch bis in die Morgenstunden auf dem Platz der Republik in Belgrad gefeiert und getanzt, um die Anerkennung der Wahlsiege der Opposition zu fordern und die milde Winternacht zu genießen. Es war die bisher größte Protestkundgebung seit Beginn der Kundgebungen in der serbischen Hauptstadt vor 55 Tagen.

Um Mitternacht leuchtete der Platz in Rot und Gelb durch Hunderte von Feuerwerkskörpern, die die Demonstranten – informiert durch den Studentensender Index und das unabhängige Radio B92 – mitgebracht hatten. Selbst das Metall der Bushaltestellen und Abfallcontainer wurde von den Drummern und Tänzern in Schwingung versetzt. Es war ein sich oft fast überschlagender Rhythmus aus Trillerpfeifen und der Rockmusik sich solidarisierender serbischer Musikgruppen: als ginge es darum, nicht nur politisch, sondern auch physisch und psychisch den Lauf der Zeit zu verändern, um eine neue Zeitrechnung herbeizudemonstrieren.

Tatsächlich feierten die oppositionellen Belgrader auf diese Art ein zweites Mal Neujahr, nämlich den Jahreswechsel nach dem orthodoxen Kalender. Volksfest, Demonstration und kollektive Urschreitherapie gleichzeitig: „Wir wollen uns nicht nur von der politischen Korruption dieses Systems, sondern auch von unserer eigenen emotionalen und mentalen Korruption befreien“, sagt eine tanzende Demonstrantin, die ein batteriebetriebenes Blinklicht als Ohrclip trägt.

Oppositionsführer Vuk Drašković sagte, im neuen Jahr solle „Serbien das Gefängnis verlassen und frei werden, aber zunächst müssen die Ergebnisse der Wahlen anerkannt werden“. Zoran Djinjić, der ebenfalls zur Spitze der Opposition zählt, äußerte die Hoffnung, daß nun das Jahr des Sieges Serbiens begonnen habe.

In dieser Nacht gehört den Bürgern ihre Stadt. Nachdem wochenlang die Polizei schwergerüstet den Demonstranten gegenüberstand, sind die uniformierten Sicherheitskräfte völlig aus der Innenstand verschwunden. Walter Oswalt