Der russische Präsident Jelzin will die Alkoholproduktion wieder unter Staatsaufsicht stellen. Mit den erwarteten Mehreinnahmen aus der Alkoholsteuer soll der marode Staatshaushalt aufgebessert werden. Schwarzbrennereien und Schmuggelware beherrschen den Markt Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Ein kräftiger Schluck aus der Pulle

Seit Jahren waren sie aus dem Straßenbild verschwunden. Gestalten, die sich schwerbepackt schleichend fortbewegten. Unerwartet gab es was zu kaufen, und sie schlugen zu, mochte es auch ihre Kräfte übersteigen. Die Hamsterkäufer. Kurz vor Silvester kehrte das Phänomen in die russische Wirklichkeit zurück. Präsident Jelzin, mit aufgearbeiteten Herzgefäßen zurück am Arbeitsplatz, trumpfte mächtig auf. Die Produktion des hochprozentigen russischen Lebenselixiers Wodka werde der Staat wieder übernehmen. Der Bürger glaubt zu ahnen, was auf ihn zukommt. Eine Preissteigerung des Wässerchens, die sich gewaschen hat.

Näher besehen gleicht die in Aussicht gestellte rigorose Staatskontrolle indes dem landestypischen Sturm im Wodkaglas: viel Wind, aber wenig frische Luft. Neunzig Prozent aller heimischen Destillen befinden sich mittlerweile in privater Hand. Wobei Angaben zur Menge der staatlich zugelassenen Schnapsbrenner je nach Quelle eine nicht unbeträchtliche Differenz aufweisen: mal sind es 140 oder auch 800. Ungeachtet dessen bräuchte der Staat Geld, wenn er sie legal und nicht bolschewistisch renationalisieren wollte. Doch daran fehlt's, der Kreml sieht sich einem riesigen Haushaltsdefizit gegenüber. Damit nicht genug, soeben beschloß der Internationale Währungsfonds, bevor er die nächste Tranche nach Moskau überweist, die Bemessungsgrundlage den tatsächlichen finanziellen Verhältnissen anzupassen. Zum Budgetdefizit wird demnächst hinzugerechnet, was der Staat Angestellten und Rentnern schuldet. Dann wird es eng mit der Kreditwürdigkeit, die ein Defizit von maximal sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes toleriert. Kurzum: Geld und Schuldige müssen schleunigst her. Was böte sich publikumswirksamer an, als Wodkaproduzenten, Importeure, Schwarzbrenner und Schmuggler dafür verantwortlich zu machen, daß Pensionäre monatelang auf ihre Renten warten müssen? Nach Schätzungen der Iswestija entfallen 40 Prozent des Alkoholumsatzes auf legale russische Hersteller und Importeure, 35 Prozent liefern Schwarzbrenner, und ein Viertel deckt Schmuggelware ab. Rund sechs Milliarden Mark Steuereinnahmen aus dem Alkoholgeschäft gehen dem Staat jährlich durch die Lappen, klagte der stellvertretende Finanzminister Jakow Urinson. Diese beeindruckende Zahl griff Präsident Jelzin auf, ordnete an – und wähnte sich im Glauben, auf einen Schlag das leidige Illiquiditätsproblem aus der Welt geschafft zu haben.

Die Schwierigkeiten sind indes hausgemacht und in der direkten Umgebung des Präsidenten entstanden. Dort wurden Privilegien, Einfuhrerlaubnisse und Steuerbefreiungen bewilligt, gegen entsprechenden Obolus wahrscheinlich. So figurierte ausgerechnet der Nationale Sportfonds als Hauptimporteur und Distributeur alles Hochprozentigen. Auch die eigentlich fürs Spirituelle zuständige Kirche mischte mit im Spirituosengeschäft. Die Dreifaltigkeit aus Heiligem Geist und Weingeist bewies Geschäftsgeist. Daneben konnten auch die Invalidenvereine der Afghanistan-Veteranen nicht ihre Finger vom Sprit lassen, buchstäblich. Im Kampf um die Millionengewinne schießen oder sprengen sie einander von der Bildfläche. Seit mehreren Monaten wurden alle Privilegien aufgehoben, dennoch profitierte die Staatskasse nicht davon. Und wieder ist es hausgemacht: Weißrußlands Präsident Alexander Lukaschenko buhlte Anfang letzten Jahres um die Heimholung ins russische Reich. Man nahm ihn damals noch nicht auf und speiste den Nachbarn zunächst mit einer Zollunion ab. Seither hat sich die Einfuhr illegalen Wodkas nach Weißrußland, das ohnehin eine fragwürdige Praktik bei der Vergabe von Vorzugstarifen in diesem Sektor handhabt, ums 410fache erhöht. Der meiste Sprit gelangt ungehindert weiter nach Rußland. Im ersten Halbjahr verlor Moskau dadurch 700 Millionen Mark.

Ein weiterer Übeltäter, Moskaus willfähriger Vasall und Tschetschenenfeind im kaukasischen Nordossetien, Präsident Achsarbeka Galasow, soll nach Ermittlungen des russischen Innenministeriums 170 Wodkaabfüllanlagen mit einer Kapazität von 6.000 Flaschen pro Stunde in seiner Bergrepublik beheimaten. 500 Zisternen mit Äthylalkohol, für den Transit bestimmt, verflüchtigten sich dort im vergangenen Jahr auf mysteriöse Weise. Galasow sitzt als Republikschef im Föderationsrat, dem russischen Oberhaus. Warum wurde er noch nie zu den Vorgängen in der ihm anvertrauten Region befragt? Vielmehr, warum sollte es ausgerechnet jetzt passieren?

Stabschef Anatoli Tschubais trat indes Ängsten entgegen, der Staat reiße alles rund um den Wodka wieder an sich. An ein Monopol im „traditionllen Sinne“ sei nicht gedacht, versicherte er umgehend. Produktion, Vertrieb und Großhandel sollen lediglich einer verstärkten Kontrolle unterzogen werden, Lizenzen staatlicherseits vergeben und alle Produkte mit Akzisemarken versehen werden. Heimische Schnapsbrenner sind darüber gar nicht mal unglücklich. Hoffen sie doch, das angeschlagene Image ihrer Produkte ein wenig aufbessern und ausländische Anbieter verdrängen zu können. Selbst Wodka- und Arzneimittelkönig Wladimir Brinzalow, der sich im Juni anschickte, Rußlands Präsident zu werden, und kläglich scheiterte, begrüßt lautstark verschärftes staatliches Engagement.

Alles in allem beinhalten die angekündigten Maßnahmen nichts, was die gängige Rechtslage nicht bereits seit langem vorsieht. Nur wurde es nicht in die Praxis umgesetzt. Dafür stehen vielerlei Gründe. Wie sich immer wieder zeigt, müssen großartige Schachspieler nicht unbedingt im praktischen Leben in der Lage sein, einen Schritt im voraus sinnvoll zu planen. Hinzu kommen die politischen Erwägungen: Darf man dem einzigen einflußreichen und verläßlichen Partner im brandgefährdeten Kaukasus vors Schienbein treten, nur weil er illegal brennt? Und braucht man Weißrußland nicht, um im Falle einer Nato-Osterweiterung Macht zu demonstrieren? Daneben verhindert die ubiquitäre Korruption, die alle Ebenen der Gesellschaft durchzieht, durchschlagende Kontrollen, die auch finanziert sein wollen. Zu guter Letzt grassiert in Rußland eine Volksseuche – der Alkoholismus, der zu allem greift, was knallt, wenn es denn billig ist.