Wenn Süssmuths Pressestelle rechnet

Die Aktenwälzerei ergibt: Bundestagspräsidentin war seltener in der Schweiz, als Kritiker wahrhaben wollen. SPD-Parlamentarier empfielt „Lovely Rita“ Parteiwechsel  ■ Von Philipp Gessler und Jan Feddersen

Die Pressestelle des Bundestages kann sich vor Anfragen aus dem In- und Ausland kaum retten. Alle wollen nur das eine: Wann flog Rita Süssmuth aus welchem Grund und mit wem wohin? Nun hat sie Spekulationen widersprochen, wonach die Bundestagspräsidentin besonders häufig dienstlich in die Schweiz gereist sei, seitdem ihre Tochter Claudia dort lebt. Von den jährlich durchschnittlich etwa 30 beruflich begründeten Auslandsreisen zwischen 1993 bis 1996 seien jeweils nur drei bis sechs in die Schweiz gegangen, rechnete gestern ein Sprecher des Bundestages in Bonn vor. 1994 sei die ranghöchste Frau der Republik besonders häufig in der Eidgenossenschaft gewesen: Aber in jenem Jahr hielt sich die Tochter dort gar nicht auf.

Die Zahl der dienstlichen Auslandsreisen Rita Süssmuths listete die Pressestelle akribisch auf: 1993 jettete sie insgesamt aus 31 Anlässen ins Ausland. Davon gingen 26 Trips in europäische Staaten, fünf ins außereuropäische Ausland. In die Schweiz reiste sie dreimal. Im Jahr darauf flog sie insgesamt zu 27 Auslandsterminen; 25 davon im europäischen Ausland, zwei ins außereuropäische. Sechsmal führte ihr Dienst sie in die Schweiz.

Im vorigen Jahr absolvierte die Bundestagspräsidentin 28 Auslandsreisen; innerhalb Europas 23, in andere Kontinente fünf, in die Schweiz ebenfalls fünf. Süssmuth begründete diese leichte Vorliebe für die Schweiz mit der wachsenden Bedeutung dieses Landes – ohne diese These näher zu erläutern. In diesem Jahr reiste das „Opfer einer Kampagne“ (Süssmuth) bei 30 Gelegenheiten ins Ausland. 25 Termine nahm sie in europäischen, fünf in außereuropäischen Ländern wahr. Viermal jettete sie in die Schweiz.

Ungeklärt ist noch, weshalb Rita Süssmuth 1993 darum warb, mit der Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung sprechen zu können – das Blatt selbst hatte die Bundestagspräsidentin nicht von sich aus eingeladen: Wollte sie dienstlich in der Schweiz, um rascher ihr einziges Kind sehen zu können? Unverständlich bleibt, weshalb nur die Dienstreisepraxis Süssmuths angeprangert wird, nicht aber die ihrer Ministerkollegen von CDU, CSU und FDP.

Inzwischen wird die Gescholtene von Michael Müller, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, in Schutz genommen: Die „neuen Attacken“ gegen Süssmuth seien „letztlich das Ergebnis hinterhältiger Konflikte“, die man „nicht offen anzugreifen wagt“. Müller empfahl, die Tradition der Parteiübertritte à la Vera Lengsfeld fortzuführen: „Folgerichtiger wäre es, wenn Frau Süssmuth zur SPD wechseln würde.“