Dilemma der Raketenbauer

■ Mit Qualitätsmanagement will die DASA Vertrauen für Ariane 5 zurückgewinnen

Der Countdown für das europäische Raketenprojekt Ariane läuft: Für den Sommer 1997 hat Projektleiter Horst Holsten von der Daimler-Benz Aerospace (DASA) die erneute Stunde der Wahrheit angesetzt. Im Produktionsbereich Raumfahrt-Infrastruktur des Bremer DASA-Werkes geht man vor dem erneuten Start der Testrakete mehr denn je auf Nummer Sicher. Qualitätsmanagement ist das Zauberwort, mit dem die Bremer jenen Tag im Juni dieses Jahres vergessen machen wollen, an dem die gesamteuropäischen Pläne für eine neue Großrakete, die Ariane 5, in einem Feuerball verpufften.

Dabei nimmt man es in der Hünefeldstraße sehr genau. Eine riesige lila Plane ist als Staubfang vor das übermannshohe Triebwerk gespannt. Daran hängt ein halbmeterlanges Bändsel mit der dicken Aufschrift REMOVE BEFORE START. So sollen studierte Diplomingenieure davon abgehalten werden, die als Vorzeigeprojekt der European Space Agency (ESA) geplante Trägerrakete mit düsenverstopfender Textilabdeckung in den Weltraum zu jagen.

Übertrieben? „Was schief gehen kann, weiß man immer erst nachher“, erklärt Jürgen Levold, Leiter der Abteilung Qualitätssicherung bei der DASA. „Schließlich stellen wir kein Spielzeug her.“ Die Werkzeugkästen sind mit Schaumstoff ausgelegt, damit gleich ersichtlich ist, wenn ein Werkzeug fehlt. Nicht, daß wie bei Flug Nummer 36 ein liegengelassener Putzlappen einen Absturz herbeiführt - ein Tag, als das europäische Raketenprojekt zur Lachnumer für die vor allem amerikanische Konkurrenz wurde. Oder daß irgend etwas auf dem Hallenboden liegen bleibt. DASA-Chefentwickler Dr. Ulrich Hartmann: „Dann gruselt es mich immer, weil ich denke, das ist aus dem Triebwerk gefallen.“ Nur gegen den ewigen Faktor Mensch, der entgegen der Konstruktionszeichnung Kabel N mit Stecker B verbindet oder beim Schrauben sensible Lackschichten anritzt, ist laut Hartmann kein Kraut gewachsen.

Der Hang zur Übersorgfalt zeigt, wie tief die Pleite vom Juni dieses Jahres sitzt, als die neukonzipierte Feststoffrakete mitsamt zweier milliardenteurer Satelliten 45 Sekunden lang gen Himmel schlingerte und aus Sicherheitsgründen vom Boden aus gesprengt werden mußte. Das Dilemma des Raketenbauers Levold: „Sie können ja nicht ein paar hundert von den Dingern bauen und probefahren. Eine hundertprozentige Erfolgsgarantie können wir in unserem High-Tech-Bereich nicht gewährleisten.“

Zwar versagten beim Fehlstart der neuen europäischen Trägerraketengeneration keine der in Bremen gefertigten Teile, versichert DASA-Pressesprecher Volker Kadow. „Der Zweitflug wird der Erstflug für die DASA.“ Dennoch wird doppelt und dreifach geprüft, wo eventuell der Wurm stecken könnte.

Denn entgegen des anfänglichen Zweckoptimismus aus Reihen der DASA müssen zu dem Explosionsschaden von einer Milliarde Mark für einen nun notwendigen dritten Teststart 500 Millionen Mark zusätzlich berappt werden. „Der erste Start war, gelinde gesagt, ein bißchen kurz, um Daten zur Erprobung zu sammeln“, erklärt Levold.

Den Löwenanteil, etwa 70 % der Summe, tragen die beteiligten französischen Firmen. Schließlich war es deren fehlerhafte Steuer-Software, die die gesamteuropäische Großrakete vom Himmel holte. Doch auch die deutsche Industrie ist mit 60 Millionen dabei. Die Häflte davon trägt die DASA. Diese Summe bringt das Ariane-Projekt zwar nicht ins Schlingern. „Auch der Standort Bremen hat keine Nachteile dadurch“, versichert Pressesprecher Kadow. „Aber der Fehlstart hat Ansehen gekostet, und das kann man nicht bezahlen“, weiß Projektleiter Holsten. Also wird in Bremen weitergesucht, bis auch die letzte mögliche Fehlerquelle enttarnt ist. Denn, so Holsten, „wenn der zweite Start schiefgeht, ist das Projekt gestorben.“ Lars Reppesgaard