Kurt Scheels Lichtspiele
: Willkommen im exklusivsten Klub der Welt

■ Ein Name, den Sie sich nicht merken müssen: Wendell Corey war der Normalissimo des Starkinos

Einem Klub, der Leute wie mich aufnimmt, würde ich niemals beitreten, sagte Groucho Marx – ich will Ihnen heute einen der exklusivsten Klubs der Welt vorstellen; er trägt den Namen Wendell Coreys.

Wer war Wendell? Von 1947 bis zu seinem Tod 1968 drehte er immerhin 40 Filme, in zehn spielte er sogar die Hauptrolle, in vielen anderen mit berühmten Stars zusammen: Clark Gable, James Stewart, Kate Hepburn, Joan Crawford. „American leading star“, schreibt der „Halliwell“, aber trotzdem sagt Ihnen der Name nichts, stimmt's? Erst der feministische Dekonstruktivismus hat uns dafür sensibilisiert, daß das Problem nicht in einer Antwort auf die Frage „Wer war Wendell?“ liegt, sondern darin, daß es diese Frage eigentlich nie gab. Offenbar war es WC gelungen, erkennbar mitzuspielen und sich gleichzeitig quasi unsichtbar zu machen – oder war er nur in der schieren Vergessenheit versunken? Wie auch immer, nach dem Verschwinden des Subjekts ist klar, daß Wendell Corey gerade als Vergessener schmerzhaft eine Leerstelle markiert, sich um so unvergeßlicher einschreibt in das Buch beziehungsweise Palimpsest der Geschichte, eine Flaschenpost, die ich also hiermit entkorke...

Der Start war grandios: „Desert Fury“ ist nicht einfach schlecht, sondern bizarr; eine Paramount-Produktion, Drehbuch von Robert Rossen, Musik von Miklos Rozsa, mit Burt Lancaster und Mary Astor, Lizabeth Scott und John Hodiak. In seinem wunderbaren Aufsatz „Ein Film ohne Bedeutung“ (Merkur, Nr. 483, Mai 1989) analysiert David Ehrenstein „Desert Fury“ als den mittelmäßigen Film, an dem man gerade deshalb sehr gut erkennen könne, was Kino eigentlich (sans phrase) sei.

Dieses Melodram über eine junge Frau, die sich in dem Wüstennest Chuckawalla nicht in den guten Polizisten Lancaster, sondern den finsteren Spieler Hodiak vergafft, der des Mordes an seiner ersten Frau verdächtigt wird, interessiert hier wegen des Debüts von Wendell Corey. Er ist der Freund und Handlanger Hodiaks, und es ist erstaunlich, wie unverhohlen dieser Film aus dem Jahre 1947 die beiden als ein homosexuelles Paar zeigt. Corey ist der Liebende, der sich auch durch die regelmäßigen Demütigungen Hodiaks und dessen Turteln mit Lizabeth Scott nicht von seiner Liebe abbringen läßt. Damit alles seine Ordnung bekommt, muß Hodiak ihn daher am Schluß erschießen, bevor er dann selbst mit dem Auto in den Abgrund rast (pfeilgerade da, wo er seine erste Frau umgebracht hatte), auf daß schließlich Scott und Lancaster ernst, aber zuversichtlich in den Sonnenuntergang davonschreiten können.

Also ein ganz normales Melodram – was soll daran bizarr sein? Vieles, aber besonders Wendell Corey. Denn er ist nun alles andere als ein Schwulentraum. Er ist häßlich – nicht interessant häßlich, sondern einfach so häßlich; er könnte ohne Probleme in der „Lindenstraße“ mitspielen. Aber wir befinden uns im Kino, nicht vor dem Fernseher. Wie kommt Wendell Corey in diesen Film, zu dieser Rolle? Er ist kein schlechter, aber allenfalls ein passabler Schauspieler. Ich finde, er hat stechende Augen, und sein normaler Gesichtsausdruck ist der eines Magenkranken; aber meinetwegen einigen wir uns darauf, daß er durchschnittlich und alltäglich aussieht, so wie Sie und ich. Aber im amerikanischen Kino müssen sich Typen wie wir glücklicherweise legitimieren: als komische Figur oder als Freund des Helden, damit der noch ein bißchen strahlender wirkt; oder auch – aber da geht es zumeist in die Hose –, um die Botschaft ins Bild zu setzen, daß wir Durchschnittler die eigentlichen Helden seien. Das ist bekanntlich eine sentimentale Lüge, es sei denn, Jimmy Stewart oder Robert De Niro spielen unseren Part. „Bigger than life“ bedeutet eben, daß auch der Normale im Kino mindestens ein Normalissimo sein muß, daß selbst das Ärmliche eine gewisse Prächtigkeit, ein Strahlen haben muß – jedenfalls niemals einfach billig wirken darf wie in TV-Serien. Sehen Sie sich beispielsweise „The Furies“ (1950) von Anthony Mann an, und ungefähr so pervers und großartig wie „Duell in der Sonne“: Barbara Stanwyck und Walter Huston als Tochter und Vater, die sich gegenseitig vergöttern. Und wir können den Film überhaupt nicht genießen, weil wir die ganze Zeit ungläubig auf Wendell Corey starren, in den sich die Stanwyck verliebt haben soll. Wenn es nicht komisch wäre, wäre es obszön.

Es bleibt dabei: Unsereiner gehört vor die Leinwand, auf ihr hat er nichts verloren, im richtigen Kino jedenfalls. Und wenn Sie jetzt immer noch nicht wissen, wie Wendell Corey aussieht, dann schauen Sie in den Spiegel oder erinnern sich an den begriffsstutzigen Detektiv in „Das Fenster zum Hof“, hinter dem Jimmy Stewart immer telefoniert. Und jetzt wissen Sie auch, warum der Wendell-Corey-Klub so irre exklusiv ist: Wir alle sind Mitglieder, aber keiner gibt es zu. Kurt Scheel