Die neue alte Ungleichheit

Im unabhängigen Staat Eritrea werden die emanzipierten Befreiungskämpferinnen von einst wieder zum Nebenwiderspruch degradiert  ■ Von Christa Wichterich

Astiers Erzählung aus dem neuen Atlantis der Gleichheit begeisterte viele. Ihre Organisation, die Eritreische Befreiungsfront EPLF, lasse den ewigen Traum von einer egalitären Gesellschaft zur Wirklichkeit gerinnen, berichtete sie 1986 als europäische Repräsentantin der Nationalen Eritreischen Frauenunion NUEW dem interessierten Publikum. Kämpfer sammelten wilde Pflanzen und kochten Gemüse, Kämpferinnen schulterten die Kalaschnikow, die Gemeinschaft betreue die Kinder. Es sei ein Modell entstanden, das nur auf den Sieg des Befreiungskampfes warte, um sich im ganzen Land auszubreiten. Skeptische Frage an Astier: Ob sich denn nicht die algerische Erfahrung wiederholen könne, wo Frauen nach der nationalen Befreiung an Heim und Herd zurückgeschickt wurden? Undenkbar, meinte sie. 1988 bekam sie dann selbst „endlich die Chance“, Kämpferin der EPLF zu werden.

Heute leitet Astier in der eritreischen Hauptstadt Asmara einen Milchverarbeitungsbetrieb mit 52 Angestellten. Ihre Biographie seit der Befreiung 1991 ist in einigen Punkten typisch für die 30.000 Frauen, die bei Kriegsende Fighterinnen der EPLF waren. Astier feierte die Ankunft in der Normalität mit der Geburt zweier Kinder. Zwar hatte sie wie viele schon während des Kriegs einen Guerillero geheiratet, doch Eheleben gab's nur in Feriencamps, also kaum Kinder. So folgte auf den Sieg ein Babyboom. Auch äußerlich hat sich Astier feminisiert. Statt des für die Fighter typischen Wuschelkopfs trägt sie Dauerwelle, statt Khakihosen einen weiten Blümchenrock.

Ihre Augen glänzen, wenn die Rede auf die Zeit „im Feld“ kommt. So eine Gemeinschaft, so viel Zusammenhalt und Verschworenheit, das weiß sie genau, wird es niemals mehr geben. Die Jahre des Kampfs, des Sterbens, der Verletzungen und Entbehrungen – der Preis war hoch, aber die Unabhängigkeit ist es ihr wert. Und den Frieden – den genießt sie jeden Tag neu, in vollen Zügen. „Politisch mache ich derzeit nichts“, schmunzelt sie. Bei der Frauenunion engagiert sie sich nicht mehr, und eigeninitiativ an der Basis aktiv zu werden – dazu hat sie weder Zeit noch Energie. „Nötig wäre es“, sagt sie, doch im Augenblick ist es ihr wichtiger zu privatisieren.

Im Jahr fünf nach der Befreiung ist sie immer noch in Staatsdiensten, Monatsgehalt: knapp 400 Mark. Als hochqualifizierte Arbeitskraft ist sie für den Staat so wertvoll wie billig. Ebenso wie die Kämpferinnen, die heute in der Verwaltung, in Gesundheits- und Bildungseinrichtungen tätig sind. Die Mehrheit der Ex-Guerilleras ist jedoch inzwischen aus der staatlichen Versorgung in die Selbstverantwortung entlassen, mit einem Handgeld von 10.000 Birr, knapp 2.000 Mark.

Die Regierung bedient sich vollmundig einer Gleichberechtigungsrhetorik. Mit dem neuen Landrecht, dem Verbot von Polygamie, Brautraub und Klitorisbeschneidung hat sie tatsächlich fortschrittliche Gesetze verabschiedet. Aber wie üblich setzt sie andere Prioritäten als die Gleichstellung der Geschlechter: Wiederaufbau, Infrastruktur, Entwicklung. Sie weiß, wie stockpatriarchal die verschiedenen Ethnien sind, und sie will sich deren Loyalität nicht verscherzen.

Es gibt bereits eine traurige Reihe von Beispielen, wie Frauenrechte politischem Opportunismus geopfert und Rechtsbrüche nicht geahndet werden. Als im letzten Jahr Staatsangestellte im Rahmen einer selbstauferlegten Strukturanpassung entlassen wurden, war die Zahl der Frauen überproportional hoch. Als die Redakteurin Abenet Essayas in der staatseigenen Zeitung Eritrea Profile über sexuelle Gewalt in Krankenhäusern berichtete, wurde sie postwendend entlassen. Und Augen und Ohren verschließt die Regierung auch gegenüber der Genitalverstümmelung, weil sie keine Konflikte mit den muslimischen Minderheiten schüren will.

Die demobilisierten Kämpferinnen sähe sie am liebsten auf dem Land und in der Landwirtschaft. Das neue Landgesetz besagt, daß der Boden Eigentum des Staats bleibt, aber Frauen wie Männer Nutzungsrechte von den Dorfvorständen zugeteilt bekommen. Da nach traditionellem Familienrecht Eigentum und Erbe jedoch fest in Männerhand bleiben, müßte das neue Gesetz aktiv durchgesetzt werden – doch Konfrontationen dieser Art vermeidet der Staat sorgfältig.

Die Ex-Guerilleras bleiben lieber in den Städten. Sie haben ihre Verwurzelung in der Familie verloren, und sie fürchten, im Dorf der alten Kontrolle unterworfen zu werden. Der Rollenbruch im Krieg hat sie nachhaltig geprägt. Fahrlehrer Tedros in Asmara beschwert sich darüber, daß die Frauen immer Widerworte gäben: „Das ist nicht unsere Tigrinya-Kultur.“

Zwar begegnet die unabhängige Nation ihren Befreiungskämpferinnen immer noch mit Respekt und Dankbarkeit. Doch für die Ehre kann man sich in der Marktwirtschaft bekanntlich nichts kaufen. Die Kämpferinnen erwarten, daß der unabhängige Staat, für dessen Existenz sie jahrelang ihre Knochen hingehalten haben – 2.700 von ihnen sind heute schwer versehrt oder behindert –, Verantwortung für sie übernimmt. Täglich sitzen viele von ihnen in den Fluren von Mitias, der staatlichen Reintegrationsorganisation. „Mit einer sehr hohen Anspruchshaltung“, sagt Eva-Maria Bruchhaus, die für die deutsche GTZ bei Mitias tätig ist, fordern sie Lebenshilfe.

Denn nun stecken die kriegserprobten Frauen in einem Mehrfrontenkampf gegen zivile Probleme: Wohnungssuche, Ausbildungsmangel, Jobsuche, Kinderbetreuung, Beziehungsprobleme. Die Ehen des Kriegs sind reihenweise zu Bruch gegangen. Die Abfindung ist schnell verbraucht, denn den Umgang mit Geld haben die Kämpferinnen ebensowenig gelernt wie eine individuelle Lebensplanung. Aus der „Kultur des Teilens“ und der Solidarität wurden sie in eine Wettbewerbswirtschaft katapultiert, deren Ellbogengesetze ihnen fremd sind.

Viele der Ex-Kämpferinnen finden keinen Job, sind aber auch nicht bereit, sich auf eine Hausfrauenrolle zurückdefinieren zu lassen. Sie haben weniger Ausbildungsmöglichkeiten als die Männer, aber ein genauso großes Nachholbedürfnis bei der Bildung. Angeboten werden diesen Frauen, die Geschütze bedient und Stellungen gebaut haben, mehrheitlich Näh- und Schreibmaschinen-, Hauswirtschafts- und Hühnerzuchtkurse.

Weil Arbeitsplätze knapp sind, migrieren die Männer dahin, wo sie einen Job bekommen, die Frauen bleiben mit den Kindern und ohne Einkommen zurück. Als verlassene Mütter die Regierung aufforderten, von ihren Männern Alimente einzutreiben, empfahl ihnen die Regierung, hinter ihren Männern herzureisen und private Lösungen auszuhandeln. So stellte sich im befreiten Land die alte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wieder her. Die Ex-Kämpferinnen fühlten sich mit ihren Kindern schmählich allein gelassen: Wohin mit ihnen, wenn sie die Abendschule besuchen oder erwerbstätig werden wollen? Weder der Staat noch die Frauenunion sorgten für Kinderhorte.

Die Frauenunion nennt sich zwar seit 1992 regierungsunabhängig, hat aber noch nicht zu wirklicher Autonomie gefunden. Viel zu spät richtete sie in einer Kaserne einen einzigen Kindergarten ein. Viel zu zaghaft ging sie die Probleme Genitalverstümmelung und Gewalt gegen Frauen an. Viel zu zögernd bot sie Frauen Kreditprogramme an. Viel zuwenig delegierte sie an Frauengruppen an der Basis.

„Heute müssen die Kämpferinnen kämpfen, um das zu erhalten, was sie erreicht haben“, erklärt Almaz Lijam von der Frauenunion mit einem Anflug von Bitterkeit. „Wir dachten, wir könnten die konservative Gesellschaft zu uns rüberziehen. Aber jetzt ziehen sie uns rüber.“ Doch viele Ex-Guerilleras sind auch kampfesmüde. Sie wollen ihr kleines Glück in Frieden und Sicherheit leben, mit Blümchenrock und Widerworten.