Die Schlacht beginnt erst nach der Wahl

■ Armeniens Präsident läßt auf Demonstranten feuern

Moskau (taz) – Armeniens alter und neuer Präsident Levon Ter- Petrosjan setzt auf Gewalt: In der Hauptstadt Eriwan ließ er bereits am Mittwoch Panzer auffahren und einige hundert Soldaten ins Zentrum vorrücken, um rund 40.000 Demonstranten auseinanderzujagen, die zuvor versucht hatten, das Parlamentsgebäude zu stürmen. Der Grund: Anhänger des oppositionellen Kandidaten Wasgen Manukjan beschuldigen Ter-Petrosjan, die Ergebnisse der Präsidentenwahl vom Sonntag gefälscht zu haben.

Die Kritik scheint begründet: Noch am Wahltag hatten Ter-Petrosjans Anhänger sogar selbst ihre Niederlage eingestanden. Demnach erhielt Manukjan, ehemaliger Premier des Landes, 61 Prozent, während der amtierende Präsident nur 33 Prozent auf sich vereinigen konnte. Die 20köpfige Wahlkommission, die von Repräsentanten der Regierung dominiert wird, ermittelte landesweit allerdings an die 55 Prozent für Petrosjan im Vergleich zu 35 Prozent zugunsten des Gegenkandidaten. Stichproben in ländlichen Regionen erhärteten den Verdacht, daß die Regierungsseite tatsächlich gelegentlich nachkorrigiert hatte. Überdies bestätigten Wahlbeobachter, unter ihnen auch Vertreter der OSZE, zahlreiche Unkorrektheiten.

Unterdessen stürmten Polizeieinheiten gestern den Stab der Opposition und verhafteten Demonstranten. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen feuerten Soldaten in die Luft, Tote wurden bisher nicht gemeldet. Das armenische Parlament hob gestern die Immunität von Oppositionsführer Manukjan und sieben weiteren Abgeordneten auf. Unter Tumulten wurden sie im Parlamentssaal von Soldaten festgenommen. Der Aufenthaltsort des Oppositionsführers ist indes nicht bekannt. Gerüchte kursierten in dem kleinen Kaukasusstaat, Manukjan sei schon am Vortag von den Sicherheitsorganen arrestiert worden.

Bereits gestern morgen hatte Ter-Petrosjan ein totales Verbot für alle Demonstrationen und Versammlungen, die nicht ausdrücklich von der Regierung genehmigt wurden, verhängt. Die Staatsanwaltschaft wirft der Opposition vor, einen Staatstreich organisiert zu haben. Die verhafteten Parlamentarier müssen mit einer Anklage rechnen. Klaus-Helge Donath