Der Killer der Apartheid packt aus

Mit Eugene de Kock steht das erste hochrangige Mitglied des alten Sicherheitsapparates in Südafrika vor Gericht. Präzise nennt er Namen und Details in der Hoffnung auf mildernde Umstände  ■ Aus Pretoria Kordula Doerfler

Der Mann im Zeugenstand spricht ruhig und gefaßt. Ab und zu wird der schier endlose, monotone Redestrom durch einen kleinen Scherz aufgelockert. „Wenn man als zweiter schießt, wird man auch nur zweiter.“ Als effektivsten Killer der Apartheid-Zeit hat sich Eugene de Kock früher selbst nicht ohne Stolz bezeichnet. Andere gaben ihm den Namen prime evil, Inbegriff alles Bösen, das Urübel. Diese Bezeichnung haßt er. Die Banalität des Bösen? Der Mann im Zeugenstand macht es einem schwer mit simplen Schablonen. Gleicht er nicht eher dem Buchhalter einer Bank, der ein paar hundert Mark veruntreut hat? Die glatten braunen Haare sind akkurat über dem linken Ohr gescheitelt, er trägt Anzug und Krawatte und eine eckige dunkle Hornbrille mit dicken Gläsern.

Eugene de Kock, jahrelang Kommandeur der berüchtigten Vlakplaas-Einheit der südafrikanischen Geheimpolizei, redet leise, aber präzise. Er schreit nicht, er klagt nicht laut an, weder sich noch andere. Emotionen läßt er ganz selten erkennen. Nur an seinen Händen ist mitunter die Anspannung sichtbar. Und in seinem Gesicht. Sehr blaß, etwas aufgedunsen und erschöpft, ansonsten regungslos. Ein Monster ohne Gefühle oder nur einer, der seinen Dienst tat? Der heute 48jährige offenbart eine schier endlose Liste von Greueln, die er und seine Elite-Einheit während der Apartheid-Zeit begangen haben.

Im Saal des Obersten Gerichtshofs in Pretoria herrscht Stille. De Kocks Gedächtnis scheint mit der gleichen Präzision zu arbeiten, mit der er einst politische Gegner verfolgte, umbrachte, folterte. Während des ganzen Verfahrens hat der frühere Oberst – die Apartheid-Polizei war militärisch strukturiert – eisern geschwiegen. Jetzt redet er fast zwanghaft, eine ganze Woche lang. Nennt so viele Namen und Details, daß man ihm kaum folgen kann. Breitet ein Panoptikum der Grausamkeiten des Apartheid-Regimes aus, die zum großen Teil nicht ganz neu sind, jedoch nie in dieser Offenheit und Öffentlichkeit ausgesprochen wurden.

Eugene de Kock ist das erste hohe Mitglied des alten Sicherheitsapparates, dem im demokratischen Südafrika der Prozeß gemacht wird. 1993 war er aus dem Dienst ausgeschieden, nicht ganz freiwillig. 350.000 DM ließ die letzte weiße Regierung unter Frederik Willem de Klerk sich das kosten.

Was bewegt den Mann jetzt, gnadenlos auszupacken? Und was geht in den Köpfen derer vor, die über ihn zu richten haben? In dem in Holz getäfelten düsteren Gerichtssaal ist man unter sich. Der Vorsitzende Richter Willie van der Merwe, die Beisitzer, Anklage und Verteidigung sind weiß. Das alte System richtet über einen der Seinen. Die Verhandlung wird in Afrikaans geführt. Die meisten schwarzen Zuhörer hinten im Saal können ihr nicht folgen.

Wegen 121 Verbrechen wurde de Kock 1994 angeklagt, darunter Mord, Betrug, Diebstahl und Entführung. In 89 Fällen einschließlich sechsfachen Mordes hat ihn das Gericht bereits Ende August für schuldig befunden. Das Strafmaß wird im südafrikanischen Strafrecht erst später verhängt. Jetzt haben Verteidigung und Angeklagter noch einmal das Wort. Die Anklage ist nur die berühmte Spitze des Eisbergs. Für mehr reichte die Beweislage nicht aus. Die Morde, derer de Kock jetzt für schuldig befunden wurde, waren vorwiegend schlicht kriminell und nicht politisch motiviert. Fünf schwarze Männer brachte die Vlakplaas- Einheit auf Befehl de Kocks kaltblütig 1992 um, um für einen seiner Freunde einen Versicherungsbetrug einzufädeln.

Mord, Betrug, Diebstahl, Waffenhandel und jegliche kriminelle Aktivität gehörten zum Alltag der Einheit. Nach den Operationen wurden Zeugenaussagen systematisch gefälscht, ermittelnde Polizisten bestochen oder aus dem Weg geräumt. Dem ehemaligen Vlakplaas-Mitglied Dirk Coetzee, der 1989 erstmals die Existenz von sogenannten Todesschwadronen öffentlich machte, schickte de Kock eine Briefbombe ins Exil. Sie kostete jedoch dem bekannten ANC-Anwalt Bheki Mlangeni das Leben. Er war als Absender auf dem Paket angegeben, das Coetzee ungeöffnet hatte zurückgehen lassen. De Kock wurde in diesem Fall des vorsätzlichen Totschlags für schuldig befunden.

Der Chef der Elite-Einheit hatte nicht eigenmächtig gehandelt, sondern hier auf Befehl des Polizeigenerals Nick van Rensburg. Das ist die Strategie der Verteidigung und ihres Mandanten: mildernde Umstände zu erreichen, wenn man nachweist, daß er nur ausführte, was ihm andere befahlen. Außerdem soll bewiesen werden, daß er ein kranker Mann ist, der an den Folgen seiner grausamen Arbeit leidet. Posttraumatisches Streßsyndrom heißt der Fachausdruck dafür.

De Kocks Bekenntnisse sind ein Who is who des alten Südafrika. Immerhin zwei Staatspräsidenten (Pieter Willem Botha und de Klerk), vier ehemalige Minister (die einstigen Polizeiminister Adriaan Vlok und Louis le Grange, Verteidigungsminister Magnus Malan und Außenminister Pik Botha) sowie mehr als ein halbes Dutzend Polizeigeneräle wurden schwer belastet. Ist es gerecht, so lautet die unausgesprochene Frage des Angeklagten, daß die alle frei herumlaufen, während ihm selbst mehrfach „lebenslänglich“ droht? Obwohl er bereits einen Antrag auf Amnestie vor der Wahrheitskommission gestellt hat, sind seine Chancen in doppelter Hinsicht gering. Bei den Verbrechen, wegen derer er jetzt vor Gericht steht, wird der Nachweis schwer, daß sie politisch motiviert waren. Die, die er jetzt freiwillig bekennt, fallen zweifellos unter die Rubrik besonders grausam. Amnestie gibt es in beiden Fällen nicht.

Was de Kock aus seinem Gedächtnis reproduziert, ist das Geflecht von Befehlsstrukturen, die „schmutzigen Tricks“ des alten Regimes. Selbst wenn nicht alles stimmt, was er jetzt aussagt, wiegt der Rest schwer genug. Auffallend ist, daß er seine Kumpane und Untergebenen aus der Einheit nicht erwähnt. Belastet wird nur die Spitze. Während seiner Aussage hagelt es Dementis, die alte Polizeiführung indessen schweigt bislang beharrlich.

Die meisten Morde und anderen Aktionen wurden auf Befehl von oben verübt. Die Ziele waren politische Gegner aus dem ANC, dem Panafrikanischen Kongreß (PAC) und der Kommunistischen Partei (SACP), innerhalb Südafrikas und außerhalb. Die genaue Planung von „Aktionen“ fand abends bei Bier und Grillen auf der Farm Vlakplaas in der Nähe von Pretoria statt. Sie gab der Einheit ihren Namen. Seinen ersten Mord als Mitglied der Einheit beging de Kock 1983 in Swaziland an dem hohen ANC-Mitglied Zwelibanzi Nyanda. Polizeiminister Louis le Grange dankte ihm anschließend mit einer Medaille. Es war seine zweite. Die erste hatte er für ein Bombenattentat auf das ANC- Büro in London erhalten. Manchmal allerdings zeigten die Befehlshaber keinen Dank. Polizeichef Johan van der Merwe weigerte sich, de Kock nach einer erfolgreichen Aktion die Hand zu schütteln: „Er sagte, sie war zu blutig.“

Wie viele Morde er in seinem Leben begangen hat, weiß der Oberst nicht mehr. „Darüber möchte ich nicht nachdenken“, sagt er am letzten Tag. Plötzlich bricht Bitterkeit durch. Sein Leben lang war Eugene de Kock in den schmutzigen Kriegen im südlichen Afrika zur Stelle, war gedrillt darauf, „Kommunisten“ als Todfeinde anzusehen. Kommunist war für das Apartheid-Regime fast jeder, der nicht den eigenen Reihen angehörte. Anfang der 60er Jahre ging de Kock ins damalige Rhodesien, um auf seiten der Weißen gegen die schwarze Befreiungsbewegung zu kämpfen. Zurück in Südafrika, wurde er Mitglied der Koevoet-Sondereinheit, die im heutigen Namibia gegen die Swapo kämpfte. 1983 schloß er sich der Vlakplaas-Einheit an, 1985 wurde er deren Kommandeur. Nach seiner Entlassung versuchte de Kock sein Glück als Waffenhändler.

Wenn de Kock heute darüber nachdenkt, was er falsch gemacht hat, dann zuallererst das: „Ich war ein treuer Angestellter, der dem Staat vermutlich zu gut gedient hat.“ Ein politischer Überzeugungstäter im engeren Sinne war er nicht. Die Partei seiner Auftraggeber, die Nationale Partei, hat er nur einmal im Leben gewählt. Aber es wäre auch Verrat gewesen, etwa die liberale Demokratische Partei zu wählen. Lieber wählte er gar nicht. Daß er zu Beginn der 90er Jahre ausgerechnet Mitglied der schwarzen Inkatha- Freiheitspartei (IFP) wurde, gehört zu den Absurditäten südafrikanischer Geschichte. Mit Genehmigung der Polizeiführung verkaufte die Vlakplaas-Einheit noch lange nach der politischen Wende Waffen an die IFP. De Kock hat seine sehr persönliche Begründung dafür, daß er sich den militanten Zulus anschloß. Die Weißen in Südafrika waren seiner Ansicht nach zu verweichlicht, als daß sie wirklich kämpfen könnten.

In vielen Äußerungen de Kocks schwingt insgeheim Hochachtung für die Schwarzen durch. Schwarze Mitglieder der Koevoet-Einheit hat er gut behandelt, denn sie waren harte Kämpfer. Zu Hause wurde ihm nicht beigebracht, Rassist zu sein. „Er war ein harter Mann“, sagt er über seinen Vater, der Oberster Amtsrichter in Johannesburg war. Dessen Erziehungsmaxime war nicht schwarz oder weiß, sondern richtig oder falsch. Was richtig oder falsch ist, war für de Kock später offenbar meist nicht schwer zu entscheiden. „Wir mußten den Feind aufhalten, egal mit welchen Methoden.“

Manchmal widersetzte er sich auch den Anordnungen von oben. Zum Beispiel, als ihm General Gerrit Erasmus 1985 vor dem Attentat auf das Khotso-Haus, den Sitz des Südafrikanischen Kirchenrats, befahl, jeden uniformierten Polizisten zu erschießen, der den Anschlag zu verhindern suchte. Hinterher wurde auf der Farm eine Party gefeiert. Polizeiminister Adriaan Vlok gratulierte den Männern. „Wir werden noch tausend Jahre regieren“, sagte er. Er selbst, so de Kock, habe von einem Mann namens Adolf Hitler gehört, der ähnliches gesagt habe.

Stünde er heute wieder vor der Wahl, würde er nicht noch einmal Polizist werden. Am Ende bleiben nur Bitterkeit und Enttäuschung über ein verpfuschtes Leben, in dem er die Drecksarbeit für andere verrichtete. Und Haß. „Die Leute, die die Befehle erteilt haben, müssen nicht mit den Toten leben, sondern ich“, sagt er. Manchmal wünscht er, nicht geboren zu sein. „Welche Ziele wir auch immer im Interesse des Landes verfolgt haben, wir haben nichts erreicht. Alles, was wir taten, war Menschen zu verletzen, sie mit unsagbarem Schmerz zurückzulassen, Kinder zurückzulassen, die ihre Eltern nie gekannt haben.“