Die Donau – ein Wechselbalg

Eine literarische Radtour entlang der Donau  ■ Von Balduin Winter

Die Donau beginnt in deutschen Landen, doch wegen ihrer Charakterschwächen ist sie kein deutscher Fluß. Es fehlt ihr die nationale Tugend der Ordentlichkeit. Denn die Donau ist ein Chaos, von allem Anfang an. Ihre Quellen sind ein Geheimnis wie der Ursprung des Nils. Zwar behaupten zwei Schilder, eins im Schloßpark Fürstenberg in Donaueschingen, das andere an der Breg-Quelle bei Furtwangen, „Hier entspringt ...“ Aber die Schilder verweisen eher auf zwangsneurotische Züge ihrer Aufsteller, wohl aufrechte germanische Beamtenseelen, Schwaben noch dazu. Als ob ein Fluß dort beginnt, wo man ihm zu beginnen gebietet.

Diesem Irrtum sitzt auch die Fotografin Inge Morath auf, die ihren schönen Fotoband bei eben jener Fürstenbergschen Quelle mit dem Kommentar beginnen läßt: „... hier beginnt unwidersprochen die Donau.“ Ihr muß widersprochen werden.

Blauverblümt, unverblümt

Donauplauderer Claudio Magris ist der Donauwahrheit nachgegangen. Ergebnis: Die Breg-Quelle faßt nur das Wasser, das den über sie liegenden Osthang hinunter rinnsalt. Es kommt aus der Traufe eines Hauses auf dem Hügelkamm, die aus einem Waschtrog gespeist wird, dessen Zufluß mittels eines Rohres aus einer westhangigen Quelle erfolgt.

Diese schickt ihr Wasser, wenn der Hahn im Haus nicht aufgedreht ist, in die Aach, die dem Rhein zueilt. Man stelle sich vor, die Leutchen da oben drehen den Hahn nie auf: Kein Wasser flösse hinab zur Breg – die Donau bliebe ein wasserloses Wadi, Ulm, Regensburg, Wien in der Wüste. Das hätte uns allerdings einiges erspart, z. B. alljährlich Bayreuth, Wagners Ring, denn keine Nibelungen wären in die Wüste ins hunnische Verderben gezogen, die hatten ihren Rhein inklusive Donauwasser; und Ulm wäre eine Oase geblieben ohne Domturm als Versuchung für die fliegende Schneiderzunft, keine Ulmer Schachteln hätten Auswandernde nach Siebenbürgen gebracht.

Seit Jahrhunderten wurde das Rhein-Donau-Problem schon erörtert. Der Romantiker Menzel spricht blauverblümt davon, während der deutschstämmige Düsseldorfer Franzose Heinrich Heine in einem fiktiven Briefwechsel mit Karl Marx über strategische Probleme der Revolution von 1848 es unverblümt beim Namen nennt: „Was wäre der Rhein (die Donau) ohne die Donau (den Rhein)? Oder wird mir gerade von einer solchen Frage speiübel?“

Das Wort „solche“ läßt eine Fälschung vermuten. Man wird es in Heines Sämtlichen Werken vergeblich suchen. „Solche“ ist ein Donauwort und pflegt von Bayern oft verwendet zu werden („soschöne“). Das ist typisch für den Stand der Aufklärung hierzulande. Wird einmal ein Problem dialektisch abgepackt, ein Widerspruchspaar scharf herausanalysiert, so stellt sich bald heraus, daß es eine Fiktion war. Der Ironiker Péter Esterházy ist der Urheber der Lüge. Spott fließt fast so reichlich wie die Donau in seinem Donaubuch „Donau abwärts“, und schon treiben die Bayern bauchoben: „Rührt die problematische Orientierung des mitteleuropäischen Raums auf das Deutsche nicht daher, von der Wahl Donau – Rhein? Denn mag die Donau an den Anfängen deutsch (auch deutsch) sein, ein Ulmer sieht nur bis Regensburg, ein Regensburger bis Passau, und die Passauer sind blind ...“

Mehrfach wehrt sich die Donau gegen das eingeschränkte schwäbisch-bayrische Blickfeld. Zweimal verflüchtigt sie sich zwischen Immendingen und Sigmaringen, worüber ein Prälat Bruninger schon 1719 mutmaßt, die junge Dame wäre unterirdisch zum Bodensee ausgebüchst. Tatsächlich wird 150 Jahre später nachgewiesen, daß das bei Fridingen versickernde Donauwasser einen Rheinzufluß bereichert – die Donau, ein Wechselbalg zwischen Holland und Rumänien? Jedenfalls beißt sie sich kieselknirschend durch die Alb, vielleicht um möglichst rasch Bayern zu verlassen, was ihr angesichts des Monstrums von Walhalla östlich von Regensburg wohl doppelt leicht fällt – um nach dem blinden Passau ein paar verspielte Schleifen zu ziehen, denn jetzt strömt sie durch das liebliche Österreich, vom Schriftsteller Gerhard Fritsch treffend als „Punschkrapferl“ bezeichnet, eine Mehlspeise „außen rosa, innen braun“. Aber halt, bevor man so recht eintaucht in die bräunliche Provinz, gerät der Donauschiffer nach Ottensheim. Irene Halpern, Jahrgang 1914, weiß in den „Donaugeschichten“ einiges über die gute alte Zeit zu erzählen: Von der Rollfähre, die zwischen 1872 und 1964 die Donau überquerte, vom einst verwilderten Ottensheimer Schloß.

Donaudurch- flossene Seelen

In Ottensheim, wo im 5. Jh. bereits der hl. Severin herumirrte und dessen Überfuhr im Nibelungenlied beinahe genannt worden wäre (aber Querkopf Hagen beharrte auf Eferding), befindet sich ein Zentrum des europäischen Buchdrucks. Christian Thanhäuser schnitzt und setzt hier kunstvolle Drucke, von Pamphleten gegen österreichische Bischöfe angefangen („Krenfleischpress“) bis hin zur allerhöchsten Poesie eines H. C. Artmann. Für dessen Husarenmärchen hat er in vorgutenbergischer Weise jeden einzelnen Buchstaben geschnitzt: 500 Stunden für 30 Seiten. Und dann Blatt für Blatt mit dem Falzbein von Hand abgezogen. Inzwischen hat er eine Reihe von bibliophilen Büchern mit Holzschnitten ausgestattet, darunter Werke von Fulvio Tomizza, Hans Raimund, Jan Skácel, Ciril Kosmač und anderen.

Seit 1995 lädt er alljährlich für einen Monat eine Autorin oder einen Autor aus einem der an Österreich angrenzenden Länder ein, 1995 Petr Borkovec aus Tschechien, heuer Drago Jančar aus Slowenien. Sie schreiben einen Text, er macht auf seiner Handpresse („Ranitzpresse“) in kleiner Auflage (150 Exemplare) das Büchlein. Und zum Abschluß sitzen sie im Gasthof Überfuhr, der Dichter liest in seiner Sprache, Thanhäuser übersetzt, reichlich fließen Schnaps und Bier. Der Erzpfaffe, der schwarze Bürgermeister, der Dorflehrer, der Sparkassendirektor und vierschrötige Bauern lauschen andächtig – Österreich ist schon ein seltsames Land, undurchschaubar seine donaudurchflossene Seele.

Den Vogel hätten beinahe wieder einmal die Habsburger abgeschossen. Ein kakanischer Ingenieur, so erfährt man aus dem Essay von Karl-Markus Gauß in Moraths Donaubuch, wollte die Donau zum Zentrum eines europäischen Fluß- und Kanälesystems machen: Die Donau sollte mittels Kanälen mit Etsch und Adria verbunden werden, über die March mit der Oder, über die Moldau mit der Elbe, über die Altmühl und den Main mit dem Rhein. Wien wäre dann gleichermaßen an der Adria, an der Ostsee, an der Nordsee und am Atlantik gelegen ... Das blieb ihr zum Glück erspart, sonst wäre die Donau als zutiefst gespaltene Persönlichkeit wohl ein Fall für den Psychiater geworden. So fließt sie allen davon und kehrt, solange der Wasserhahn im Schwarzwald aufgedreht bleibt, immer wieder, stets eine andere im gleichen Bett.

Literatur:

Claudio Magris: „Donau“. Biographie eines Flusses. Aus dem Italienischen von Heinz-Georg Held. Carl Hanser Verlag, München/ Wien 1988

Péter Esterházy: „Donau abwärts“. Roman. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 1992

Ruth Aspöck (Hg.): „Donaugeschichten“. Anthologie. Edition die Donau hinunter, Wien 1992

Inge Morath: „Donau“. Mit einem Essay von Karl-Markus Gauß. Edition Fotohof im Otto Müller Verlag, Salzburg 1995