Vom Verbauen der Zukunft

■ Die 19jährige Amra Bilić darf keine Ausbildung zur Krankenschwester beginnen – obwohl sie einen Platz hat

Eigentlich paßt alles bestens zusammen: Im zerstörten Bosnien- Herzegowina werden dringend Krankenschwestern gebraucht – die neunzehnjährige Amra Bilić (Name von der Redaktion geändert) möchte Krankenschwester werden. Die deutsche Sozialhilfe muß von Kosten entlastet werden – Amra Bilić könnte einen Beitrag dazu leisten. Jugendliche brauchen einen Ausbildungsplatz – Amra Bilić hat ihn bereits gefunden. Nur: Sie darf diese Ausbildung in Berlin nicht beginnen. Die Ausländerbehörde verbietet es ihr.

Vor fünf Jahren ist Amra Bilić mit ihren Eltern aus der Region Banja Luka geflüchtet. In Deutschland hat sie ihren Mann kennengelernt, einen jungen Bosnier, der bis heute an den Folgen seiner Gefangenschaft in einem Konzentrationslager leidet. In Berlin wurde vor sechs Monaten ihr kleiner Sohn geboren, hier hat Amra Bilić sich in den vergangenen Jahren mühsam die Voraussetzungen für eine Zukunft aufgebaut.

Den Realschulabschluß hat sie trotz sprachlicher Schwierigkeiten mit Bravour geschafft, lauter Einsen in den naturwissenschaftlichen Fächern. Die Lehrer schlugen sie für das Gymnasium vor, doch die junge Frau will Krankenschwester werden. Schon im Herbst letzten Jahres machte sie sich auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz und fand ihn schließlich in einem Berliner Krankenhaus. Im Oktober könnte sie die dreijährige Ausbildung beginnen, 1.200 Mark würde sie dabei jeden Monat verdienen. Damit könnte auch ihre Familie von der Sozialhilfe weitgehend unabhängig sein.

Doch seit die Innenminister im Januar die „Rückführung“ der Kriegsflüchtlinge beschlossen haben, gilt ihr Aufenthalt nur noch als kurzfristiges Provisorium. Weil die Flüchtlinge ja ohnehin bald zurückkehren müßten, hat der Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) bereits im Juli eine Weisung erlassen: Wer noch keine Ausbildung angefangen hat, darf auch keine mehr beginnen.

Dabei ist völlig unsicher, wann die 19jährige nach Bosnien zurückkehren kann. Selbst nach dem ursprünglichen und längst verschobenen Zeitplan der Innenminister wäre ihr Ausreisetermin frühestens in einem Jahr. Als Kleinfamilie mit Säugling würden ihr Mann und sie allenfalls zur zweiten Gruppe der Rückkehrer gehören, und die wird nicht vor Juli 1997 zur Ausreise aufgefordert werden.

Ihr Mann würde aufgrund seiner Erfahrungen in einem Konzentrationslager zudem in den Kreis der „traumatisierten Personen“ eingestuft werden, deren Aufenthalt in Deutschland bisher aus humanitären Gründen nicht befristet ist.

Amra Bilić bliebe also genug Zeit, ihre Ausbildung hier nicht nur zu beginnen, sondern vielleicht auch zu beenden. Auch aus deutscher Sicht hätte das eigentlich nur Vorteile: Das Sozialamt würde Geld sparen, die Bundesrepublik ein Stück praktischer Entwicklungshilfe leisten, und Amra Bilićs Bereitschaft zur Rückkehr nach Bosnien würde wachsen.

So ist ihre Vorfreude deutlich gedämpft: „Natürlich“, sagt sie, „will ich in meine Heimat zurück. Aber wenn ich dann mit 21 Jahren zurückkehre, stehe ich mit meiner Familie dort vor dem Nichts – kein Dach über dem Kopf, kein Geld, kein Beruf. Ohne eine Ausbildung kann ich dort nur Hausfrau sein. Wovon sollen wir denn dann leben? Solange das so ist, werde ich weiter darum kämpfen, hierbleiben zu können.“ Vera Gaserow, Berlin