■ Rolf Kreibich, Zukunftsforscher und Leiter des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin, über nachhaltige Ökonomie und die ökologische Überlebensfähigkeit der Welt. Mit ihm sprachen Annette Jensen und Ute Scheub
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taz: Herr Kreibich, überlebt die Menschheit das nächste Jahrhundert?

Kreibich: So gut wie alle Institute der internationalen Zukunftsforschung gehen davon aus, daß die Welt mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 90 Prozent im nächsten Jahrhundert in die Katastrophe treibt, wenn wir mit unserer Produktions- und Konsumtionsweise weitermachen wie bisher. Dann ist spätestens Mitte bis Ende des nächsten Jahrhunderts die Tragekapazität der Erde erschöpft. Die Schäden werden so irreversibel, daß es uns Menschen nicht mehr möglich sein wird, auf der Erde zu leben.

Die Menschheit stirbt aus?

Wahrscheinlich nicht von heute auf morgen. Ökosysteme sind so gebaut, daß sie eine ganze Menge Schadstoffe aufnehmen können. Aber irgendwann gibt es Kippeffekte – die Ökosysteme sind dann nicht mehr lebensfähig. Zunächst wird es zu erheblichen Spannungen zwischen den reichen und armen Ländern kommen. Wir haben heute zwischen Industrie- und Entwicklungsländern eine Diskrepanz bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen pro Kopf der Bevölkerung von etwa 60:1.

Warum aber sollten die Menschen in den Industrieländern daran etwas ändern?

Nötig wäre das, was auf der UN- Umweltkonferenz von Rio im Mittelpunkt stand: nachhaltige Entwicklung. Wir müssen alles unternehmen, um zu niedrigen Stoff-, Energie- und Schadstoffbilanzen zu kommen, um irreversible Schäden in der Natur zu vermeiden. Außerdem ist die Bevölkerungsentwicklung einzudämmen. Die Rio-Konferenz hat bahnbrechende Grundlagen geschaffen, zu denen sich alle Staaten der Welt weitgehend verpflichtet haben. Das war auf der Ebene des Formulierens ein erstaunlicher Fortschritt, den man vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten hätte.

Auf dem Papier ist das ein Fortschritt. In der Praxis aber wollen die armen Länder verständlicherweise den gleichen luxuriösen Lebensstandard haben wie wir.

Hier ist die entscheidende Frage: Sind wir in den reichen Ländern bereit, die beste, weil effizienteste Technik, den armen Ländern zur Verfügung zu stellen? Kaum ein Unternehmen dürfte freiwillig seine Patente zur Verfügung stellen. Deshalb müßten neue internationale Vereinbarungen getroffen werden, daß Firmen in Entwicklungsländern Produktionsrechte eingeräumt werden. Die Kosten für die Lizenzgebühren müßte die internationale Gemeinschaft tragen. Die Rio-Konferenz hat bereits einen Fonds gebildet – wenn auch in sehr kleinem Umfang. Das war aber der schwierigste Punkt auf der Rio-Konferenz. Da wollten die Industrieländer überhaupt nicht ran. Die Entwicklungsländer haben jedoch intelligent argumentiert: Ihr wollt die Internationalisierung des Regenwalds, also wollen wir die Internationalisierung der Hochtechnologie.

Auf ökonomischer Ebene gibt es GATT. Von der Liberalisierung des Weltmarkts profitieren viele ärmere Länder, ökologisch ist sie allerdings fatal.

Das ist eine ganz schwierige Frage. In den gesamten GATT- Verhandlungsprotokollen taucht nicht ein einziger Satz zur ökologischen Wirkung dieser Liberalisierung des Welthandels auf. In Zukunft werden die Produkte über noch größere Distanzen als bisher transportiert, damit steigen die Energie-, Stoff- und Schadstoffströme enorm an. Es muß jetzt eine ökologische Runde des GATT einsetzen. Wenn das nicht kommt, sehe ich eine Riesengefahr für die gesamte Welt.

Aber wer soll's richten? Eine weltweite UNO-Ökodiktatur?

Nein. Hier gibt es durchaus ökonomische Anreize: Die Löhne in den Entwicklungsländern sind wesentlich niedriger. Die Auswirkungen spüren wir derzeit auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt: Arbeit wird zunehmend in Länder mit geringerem Lohnniveau ausgelagert. Hierzulande kann man das beklagen, aber international gesehen ist das nicht so negativ zu sehen, weil dann Produktionen näher am Verbraucher stattfinden. Wir müssen uns deshalb um so mehr um die Entwicklung intelligenter und ökologisch verträglicher Produkte und Dienstleistungen bemühen.

Würden Sie das auch Kanzler Kohl sagen, wenn er Sie zum Gespräch am Kamin bitten würde? Und was würden Sie ihm raten?

Ich würde mit ihm alle Bereiche durchgehen. In der Wirtschaft geht es um eine grundsätzliche Änderung der Produktionsweise. Wir brauchen den Wettbewerb um die ökologisch besten Produkte. Die Wertstoffe müssen in den Produktionskreislauf zurückgeführt werden. Wir müssen den Energie- und Stoffverbrauch erheblich reduzieren. Das wäre möglich mit einem Faktor von 5 bis 10.

Bei der Entwicklung ökologischer Produkte bin ich optimistisch, denn hier haben wir bereits Beispiele. An unserem Institut haben wir zusammen mit Loewe Opta den ersten vollständig recycelbaren Fernseher gebaut – jetzt sind alle großen Firmen dabei, ökologisch vernünftige Fernseher zu bauen. Wir hatten auch die Idee, einen Fernseher so groß wie eine Streichholzschachtel zu bauen, er sollte die Bilder per Laser auf eine Wand projizieren. Auch die Idee, kompostierbare Autos und Fernseher aus nachwachsenden Rohstoffen zu bauen, sollte weiter verfolgt werden.

In welchem Zeitraum wäre eine solche Entwicklung möglich?

Wenn wir so konzentriert Mittel einsetzen würden wie vor 40 Jahren in die Atomenergie, dann wäre das in wenigen Jahrzehnten machbar.

Auch der eßbare Fernseher?

Warum nicht? Sicher eine ungewohnte Vorstellung. Heute gibt es ja schon eßbares Verpackungsmaterial. Es geht um eine Konsistenzrevolution, um ein Wiedereinpassen in die Natur. Wir müssen lernen, unsere Produktion den Naturkreisläufen anzupassen.

Kohl würde sagen: Das hört sich alles hübsch an, aber ich denke nicht daran, das durchzusetzen. Wir haben vier Millionen Arbeitslose, da werde ich doch meine Unternehmer nicht ins Ausland vergraulen.

Dann würde ich die Unterlagen der Versicherungsindustrie und der Rückversicherer aus der Tasche ziehen und zeigen, wie Überschwemmungen, Unwetter, Erdrutsche in den letzten zehn Jahren massiv angestiegen sind. Ich würde sagen: Herr Kohl, wenn diese Kurve so weitergeht, werden die Rückversicherer in fünf bis zehn Jahren nicht mehr in der Lage sein, bestimmte Risiken zu versichern. Hier bröckelt das Wirtschaftssystem bereits, an anderer Stelle bricht es schon zusammen. Stichwort Mobilität: Die Just-in-time- Produktion funktioniert nur noch, wenn die Unternehmen zwei oder drei Laster zur gleichen Zeit losschicken. Dann kommt wenigstens einer pünktlich an. Mobilität schlägt hier in Immobilität um. Das heißt, wir müssen kapieren, daß mittel- und langfristig auch gerade dort die zukunftsorientierten Arbeitsplätze liegen, wo wir unsere Lebensgrundlagen erhalten.

Wie aber zwingt man die Unternehmen zu ökologischer und dezentraler Wirtschaftsweise?

An allererster Stelle steht die aufkommensneutrale Ökosteuer. Stoffe, Energie und Schadstoffe werden teurer, der Faktor Arbeit wird billiger. Ich würde Herrn Kohl sagen: Im Prinzip haben wir eine 90prozentige Mehrheit im Deutschen Bundestag für die Ökosteuer. Die Bündnisgrünen und die SPD sind klar dafür, die FDP war es zumindest im Wahlkampf, die CDU hat sie auf ihrem Mannheimer Parteitag beschlossen, nur die CSU ist dagegen, und einige mächtige Lobbyisten in der Energieversorgung, in der Mineralölindustrie, in der Chemie. Nun wird immer gesagt, das würde uns im internationalen Wettbewerb Nachteile verschaffen. Das stimmt nicht. Dänemark hat die Ökosteuer eingeführt und gezeigt, daß die Energieströme erheblich reduzierbar sind. Mit der Ökosteuer wurden dort auch Weichen gestellt Richtung dezentraler Energieversorgung, Kraft-Wärme-Kopplung, Wind- und Solarenergie.

Die Vertreter der Stahl- oder Chemieindustrie werden öffentlich verkünden: Wenn Sie die Ökosteuer einführen, gehen wir nach China oder anderswohin, wo es keine Umweltauflagen gibt.

Das ist sicher ein großes Problem, als Drohpotential und als realer Zielkonflikt. Deshalb muß es internationale Vereinbarungen geben. In der EU ist die Gemeinsamkeit in punkto Ökosteuer allerdings schon dahin. Angesichts der dramatischen Situation sollten wir aber die Ökosteuer Schritt für Schritt national einführen. Die EU hat dafür wenigstens den Weg freigemacht.

Die Multis werden mit Kapitalflucht reagieren. Sie sind heute ja die eigentliche Weltregierung. Die 100 größten besitzen eine Kapitalmenge, die so groß ist wie das gesamte Bruttosozialprodukt der USA. Warum sollten sie sich ändern?

Das ist in der Tat ein schwieriger Punkt. Wir sehen das auch national im Energiebereich: Dort haben wir eine absolute Monopolsituation. Acht Konzerne haben die gesamte Energieversorgung in der Bundesrepublik unter sich aufgeteilt. Wir können diese zentralistischen Systeme nur schrittweise knacken. Deshalb muß auf kommunaler Ebene alles getan werden, um günstige Bedingungen für dezentrale Energietechniken zu schaffen.

Ist das, was Sie als nachhaltige Entwicklung beschreiben, im Rahmen des Kapitalismus überhaupt möglich?

Ich sehe keine Alternative. Alle zentralistischen Wirtschaftssysteme sind bisher gescheitert, weil sie von der naiven Vorstellung ausgingen, daß man komplexe Systeme zentral steuern kann.

Die Frage zielte auf das Wesen des Kapitalismus, der bei Strafe des Untergangs immer weiter wachsen muß.

Da stellt sich eine für mich hochinteressante Frage. Der Kapitalismus könnte sich prinzipiell nach der besten ökologischen Produkt- und Verfahrensentwicklung richten. Für viele Bereiche gilt, daß die ökologisch besten Produkte auch die ökonomisch günstigsten sind und die höchsten Gewinne abwerfen. Die Frage ist: Gelingt es uns, einen ökologischen Wettbewerb in Gang zu setzen?

Kapitalismus heißt aber auch, daß die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden. Bisher produziert immer noch dasjenige Unternehmen am günstigsten, das seine Umweltkosten auf die Allgemeinheit abwälzen kann.

Mit Sicherheit wird der Kapitalismus nicht von sich aus diesen Weg einschlagen. Dazu bedarf es klarer politischer Zielvorgaben. Das marktwirtschaftliche Modell ist für mich ein reines Organisationsmodell. Ihm ist egal, in welche Richtung effizient verteilt wird und Gewinne gemacht werden. Wir brauchen deshalb internationale und nationale Zielvorgaben und vor allem auch den Schub der hunderttausend Pilotprojekte im lokalen Bereich. Ich glaube, daß immer mehr Menschen erkennen, wie nötig ein Umsteuern ist.

Woran lesen Sie das ab?

Ich denke sehr prozeßhaft: Was vor zehn Jahren undenkbar war, ist heute bereits in der Mache. Stichwort Rüstung. Das war für uns vor 20 Jahren das zentrale Problem. Als der KSZE-Prozeß Mitte der 70er Jahre begann, wurden die Möglichkeiten der Abrüstung genauso pessimistisch gesehen wie heute die ökologischen Möglichkeiten der Bewahrung und Erneuerung. Ich glaube einfach daran, daß der gesellschaftliche Prozeß nach Rio ähnlich weitergehen wird wie der KSZE-Prozeß. Der KSZE-Prozeß hat die Welt erheblich friedlicher gemacht.

Die Zahl der Kriege hat zugenommen.

Ja, aber wir haben nicht mehr die globale Bedrohung. In den 70er Jahren hielten wir es nicht für möglich, daß die Rüstungsspirale um eine Umdrehung zurückgedreht wird. Heute haben wir eine ökonomische Hochrüstung. Diese ist – aus psychologischen Gründen – möglicherweise noch kritischer. Denn wir alle stecken nach wie vor in dem alten Fortschrittsmuster: Mehr wissenschaftliche Entwicklung ergibt mehr technische Möglichkeiten, mehr Effizienzsteigerung, mehr Wirtschaftswachstum, mehr Wohlstand. Dieses Muster war ja lange Zeit außerordentlich erfolgreich. Es hat uns einen enormen Lebensstandard eingebracht, 3.000 Prozent mehr Realeinkommen als vor hundert Jahren, eine 35 Jahre längere Lebenserwartung. Die negativen Folgen haben wir verdrängt.

Wir in den reichen Ländern müssen also materiellen Verzicht üben?

Davon bin ich überzeugt. Wir werden dieses Niveau des Produzierens und Konsumierens nicht halten können. Seit 1976 sinkt laut Weltbankindex in den Industrieländern die Lebensqualität, in die ja auch die Luft-, Wasser- und Nahrungsmittelqualität und die Gesundheit eingehen.

Aber die Menschen hierzulande, die zwei oder drei dicke Autos fahren, werden diese nicht freiwillig abgeben, um für reine Luft für alle zu sorgen.

Das ist unser Grundsatzdilemma. Hier ist jeder einzelne Verbraucher gefordert. Ich kann hier nur den Technikphilosophen Hans Jonas zitieren. Er wurde gefragt: Sind Sie der Meinung, daß uns ein Umdenken gelingen wird? Er hat gesagt: Das weiß ich nicht.

Nehmen wir an, es gelingt. Wir schreiben das Jahr 2010, eine rot- grüne Koalition hat das Wunder vollbracht, eine ökologische Wirtschaftsweise einzuführen. Wie sieht unser Lebensstandard dann aus?

Wir wohnen dann nicht mehr in Häusern, die pro Quadratmeter 200 bis 250 Kilowattstunden Energie pro Jahr verbrauchen, sondern nur noch 20. Wir benutzen weitgehend öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad, und von fünf Autos haben wir vier per Car-Sharing eingespart.

Gilt das Modell Car-Sharing auch für China?

Ja. Als Übergangslösung mit Sicherheit. Die Erde hat ja durchaus eine hohe Bandbreite der Belastbarkeit. Man könnte dann zu solarbetriebenen Kleinfahrzeugen übergehen, die wesentlich leichter und langlebiger wären als die bisherigen Autos.

Wie halten Sie es denn persönlich mit dem Auto?

Ich versuche es zu vermeiden, wo es nur geht. Aber ich besitze eins. Auch ich lebe in der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit.