Zum arbeiten zu jung oder zu alt

Finnlands Wirtschaft blüht, doch jede/r Fünfte ist arbeitslos  ■ Von Reinhard Wolff

Von Finnlands Industriestädten hat es Pori am schlimmsten getroffen. In der westfinnischen Stadt sind 26 Prozent der Bevölkerung arbeitslos, in einzelnen Stadtteilen und Vororten 50 bis 60 Prozent. Und ebenso wie die anderen Arbeitslosen haben die von Pori mittlerweile den Glauben in die Versprechungen der Regierung verloren, die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausendwende halbieren zu können. „Irgendwie sind das Versprechungen, über die wir hier am besten nicht mehr sprechen“, gesteht Mikko Elo, Parlamentsabgeordneter aus Pori und Parteigenosse des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paavo Lipponen, ein. „Es wirkt so lächerlich.“

Im Holzhaus, das die Kommune der „Arbeitslosenvereinigung“ als Treffpunkt geschenkt hat, erntet der seit vier Jahren arbeitslose Papierarbeiter Reijo Mäkinen breite Zustimmung, wenn er illusionslos feststellt: „Alle über 35 sind jetzt offenbar zu alt, um Arbeit zu bekommen.“ Liest man die Statistik, sind auch alle unter 25 Jahren offenbar zu jung, um schon eine Arbeit zu bekommen.

Bis 1990 war Finnland ein ökonomischer Musterknabe. Doch dann schnellte die Arbeitslosigkeit von nicht einmal 4 auf über 20 Prozent hoch. Eine wirtschaftliche Depression hatte zugeschlagen, die allerdings mittlerweile schon längst Vergangenheit ist. Industrie und Exportwirtschaft laufen auf Hochtouren, und die erstarkte Finnmark wird sich aller Voraussicht nach in diesem Herbst wieder dem festen Wechselkursmechanismus der EU anschließen. Nur eine statistische Kurve will sich partout nicht verändern: die der Arbeitslosenrate.

Lange Schlangen vor den Suppenküchen

Dabei kan man den Regierungen, die in den letzten fünf Jahren in Helsinki ruderten, nicht vorwerfen, nicht alle allgemein gebräuchlichen Rezepte durchprobiert zu haben. Bei der Sanierung der Staatsfinanzen wurde so tief ins sozale Netz geschnitten, daß im einstigen Wohlfahrtsstaat die Schlangen vor den Suppenküchen der Heilsarmee europaweit Schlagzeilen machten.

Gleichzeitig wurde den Arbeitgebern das gegeben, was sie angeblich brauchten, um die Räder wieder anzukurbeln und die Arbeitslosen in die Fabriken zurückzuholen: Steuererleichterungen und direkte Subventionen für Klein- und Mittelbetriebe; eine Senkung des Arbeitgeberanteils für die Sozialversicherung und eine „Reform“ des Arbeitsrechts; Raum für mehr befristete Arbeitsverhältnisse und bessere Kündigungsmöglichkeiten; statt nur zentraler jetzt auch lokale und betriebliche Tarifverträge mit der Möglichkeit, Arbeitsbedingungen den „betrieblichen Erfordernissen“ besser anpassen zu können.

Nach fünf Jahren ist die Bilanz all dieser Bemühungen eindeutig: Die Räder in der Industrie laufen wieder auf Hochtouren. Doch für die 500.000 Arbeitslosen wurden gerade mal 20.000 neue Jobs geschaffen. Die Industrie schiebt das auf die Halbherzigkeit der staatlichen Wohltaten. Man müsse kostenmäßig noch viel mehr entlastet werden, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Tarifvertragliche Löhne beispielswiese sollten nicht mehr für alle, sondern nur für gewerkschaftlich Organisierte gelten. Damit diese weniger werden, schlägt man gleichzeitig vor, die Möglichkeit der steuerlichen Absetzung der Gewerkschaftsbeiträge zu streichen. Und die Gewerkschaften? Die zeigten sich bislang erstaunlich willig, diesen Kahlschlag in ihrem Revier mitzutragen.

Derweil sind in Pori die Kneipen auch am Tage voll. Alkoholprobleme wachsen, und psychische Krankheiten werden häufiger. Betroffen ist vor allem die große Schar Männer und Frauen im mittleren Lebensalter, die gewohnt waren, ihre ganze Identität aus der Arbeit zu beziehen. „Sie schämen sich, weil sie arbeitslos sind“, weiß Reijo Mäkinen. Er ist 54 und hat die Hoffnung auf einen Job selbst auch längst aufgegeben.