Polizeiknüppel beenden Kirchendrama

Wochenlang wollte Frankreichs Regierung die Protestaktionen illegaler afrikanischer Einwanderer mangels eindeutiger Rechtslage aussitzen. Nun flüchtet sie sich in die Gewalt  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Der Hochsommer ist riskant für ausländische Einwanderer in Paris. Sie sind sichtbarer als sonst, da sie nicht so zahlreich wie andere Franzosen in Urlaub fahren. Sie werden leichter zum Opfer der Politik, da Staatsmänner im August wenig zu tun haben. Vor zwei Jahren verunsicherte und erboste der damalige Innenminister Charles Pasqua die Nordafrikaner von Paris mit Personenkontrollen, Festnahmen und Hausarresten – sein Beitrag zum Kampf gegen die „islamische Bedrohung“. Dieses Jahr sind die Schwarzafrikaner dran im Namen des Kampfes gegen illegale Einwanderung, und Innenminister Jean-Louis Débré zeigt sich ebenso strebsam wie sein Vorgänger. Der Hungerstreik von zehn der 300 Afrikaner ohne Aufenthaltsstatus in der besetzten Kirche Saint-Bernard begann zu Anfang der Sommerpause, am 5. Juli. Die Regierung konnte sich ausrechnen: Wenn nichts geschieht, ringen die zehn am Ende der Sommerpause zwei Monate später mit dem Tode. Einen Monat lang geschah nichts. Anfang August fragte Louis Viannet, Chef der Gewerkschaft CGT, beim Präsidialamt nach, ob man das Problem wohl vergessen habe. Jacques Chirac ließ dementieren: Doch, er habe „die Aufmerksamkeit des Innenministers“ darauf gelenkt. Noch am selben Tag – es war der 8. August – verkündete Innenminister Débré das Ergebnis seiner Aufmerksamkeit: Diejenigen, „deren Kinder nicht französisch sind, sollten Vorbereitungen zur Ausreise treffen“.

Die zur Begründung der Kirchenräumung dienende Feststellung des französischen Staatsrates vom Mittwoch, die Kirchenbesetzer hätten kein Aufenthaltsrecht, war also weder neu noch überraschend. Natürlich haben die illegalen Einwanderer in der besetzten Kirche kein Aufenthaltsrecht, sonst wären sie keine illegalen Einwanderer und müßten keine Kirche besetzen. Die ganze Aktion, die am 18. März mit der Besetzung der Kirche Saint-Ambroise durch mehrere hundert Afrikaner begonnen hatte, zielte auf die Änderung der Rechtslage. Denn bei jeder Überprüfung der protestierenden Illegalen kommen die Behörden zu anderen Schlüssen. Bei der letzten Prüfung Ende Juni verkündete das Innenministerium, 48 der 277 vorgelegten Fälle würden legalisiert. Die Glücklichen waren nach keinen nachvollziehbaren Kriterien ausgewählt – es waren nicht einmal alles Eltern von Kindern mit französischer Staatsbürgerschaft, wie es der Staat zuvor angedeutet hatte. Kurz darauf begann der Hungerstreik, spontan und ohne Erfolgschance außer der, öffentliche Empörung zu wecken.

Das ist vollauf gelungen. Wenn Schauspieler sich an hungernde Afrikaner anketten und an ihrer Stelle nach Mali geflogen werden wollen, wenn Kirchenbesetzer aus Ärger über den Medienrummel die Presse fernhalten statt hereinbitten müssen, wenn zehntausend protestierende Menschen mitten im Sommer durch die Pariser Boulevards marschieren – dann hat die Regierung ein Problem.

Einer Lösung ist dieses Problem auch mit der Kirchenräumung nicht nähergerückt. Am Mittwoch erst ließ die Regierung das Gesetz vollends als Lotterie erscheinen, als das Kabinett nach einem Treffen zwischen Débré und Sprechern der Kirchenbesetzer die Zahl der zu Legalisierenden von 48 auf 100 erweiterte. Die anderen, bekräftigte Premierminister Alain Juppé am Tage darauf, müßten gehen. Damit war das Szenario zur Räumung perfekt. Die Afrikaner konnten nicht einfach nachgeben, und die Regierung mußte ihre Vorstellungen durchsetzen – notfalls mit Gewalt.

Sie verhindert damit weder weitere Proteste, noch klärt sie die Gesetzeslage. Aber aus Regierungssicht ist dieses Problem gar nicht das Problem. Zwar empfindet Umfragen zufolge die Hälfte der Franzosen Sympathie für die Kirchenbesetzer, die andere Hälfte aber nicht, und zur zweiten Hälfte gehören viel mehr Wähler der Regierungsparteien als zur ersten. Sie würden notfalls auch für die rechtsradikale „Front National“ stimmen, um knappe Wohnungen, gefährdete Arbeitsplätze und eben auch Kirchen vor aufsässigen Ausländern zu sichern. Dessen bewußt, versprach Débré im August 1995 – es war wieder Hochsommer – die Abschiebung von 20.000 Illegalen pro Jahr. Um diese Vorgabe zu erfüllen, beschloß er im Mai, monatlich drei statt bisher zwei Abschiebe-Charterflüge nach Afrika zu buchen. Nun muß er sie füllen.

Dafür haben auch ansonsten weniger ausländerfeindliche Politiker Verständnis. „Euer Kampf ist ein gerechter Kampf“, schrieb der liberale Ex-Minister Bernard Stasi vor einer Woche den Afrikanern in einem offenen Brief. Aber die Regierung könne nicht nachgeben, „angesichts der schwierigen wirtschaftlichen und monetären Lage“. Seltsam, daß die Afrikaner, die sich mit schwierigen wirtschaftlichen und monetären Lagen auskennen, das nicht einsehen wollen.