Er mochte es kühl

Das Medium ist Massage: Werke des Medientheoretikers Marshall McLuhan jetzt auf einer CD  ■ Von Gustav Roßler

Wirre Bücher“, „reaktionäre Heilslehre“, „Bauchredner und Prophet einer apolitischen Avantgarde“, das waren einige der wenig schmeichelhaften Bezeichnungen, mit denen Hans Magnus Enzensberger 1970 im Kursbuch über Marshall McLuhan herzog. Auch dessen Slogan „The medium is the message“ schien ihm „provozierend idiotisch: Das einzig Bemerkenswerte am Fernsehen sei ihm zufolge der Umstand, daß es läuft“ (wobei Enzensberger selbst es allerdings später ähnlich sah, als er vom Fernsehen als „Nullmedium“ sprach).

Daß Gesellschaften weit mehr durch die Natur der Medien, mit denen sie kommunizieren, geformt werden als durch den Inhalt der Kommunikation, ist wohl eher der Sinn dieses Satzes. McLuhan wandelte ihn 1967, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, noch einmal ab: „The medium is the massage.“ Was zeigt, daß er durchaus zur Ironie fähig war. Das mit dem Grafiker Quentin Fiore zusammen gestaltete Buch sprengte die herkömmliche Vorstellung von einem Buch. In Collagen, Montagen, die alle typografischen und grafischen Möglichkeiten mobilisierten, wurde die Gutenberg-Galaxis gewissermaßen um einen neuen Fixstern bereichert.

Das Ende des Buchs ist immer noch ein Buch, könnte man frei nach Maurice Blanchot sagen, im Widerspruch zu dem, was die vielen Adepten McLuhans behaupten, die inzwischen in Hunderten von Büchern die These vom Ende der Gutenberggalaxis, des Schrift- und Buchzeitalters breitgetreten haben.

McLuhan erlebt seit einigen Jahren ein Comeback. Nach den 60er Jahren war es sehr still um ihn geworden. Relativ unbemerkt starb er 1981. Nur seine Slogans überlebten. Erst mit dem Aufkommen der neuen elektronischen Medien ist er wieder ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Insofern ist es nur konsequent, daß jetzt sein Leben und Werk endlich auch in einem der sogenannten neuen Medien dargestellt werden. (Auch wenn dieses Medium inzwischen selbst schon fast als veraltet gelten muß.)

Die glatte und ruhige, in dunklen Braun- und Blautönen gehaltene Benutzeroberfläche der CD- ROM kommt ohne herkömmliche Menüs aus. Sie ist in Schichten aufgebaut, von denen die jeweils höhere oder letzte im Hintergrund sichtbar und aktivierbar ist. Die oberste Schicht zeigt die verschiedenen Abteilungen der CD als senkrechte Stellwände, die sich auf Zitate, Exzerpte und Videosequenzen hin öffnen lassen.

In der ersten Abteilung, „Probes“ (Sonden), werden einige der Schlüsselbegriffe McLuhans erläutert, so etwa seine Unterscheidung zwischen „kühlen“ und „heißen“ Medien (ein differentieller Begriff: Fernsehen ist kühl im Unterschied zum Film, da weniger differenziert, weniger hoch aufgelöst, kühle Medien involvieren den Benutzer mehr, demnach könnte man die CD-ROM als eher kühles Medium bezeichnen).

Andere Abteilungen widmen sich seiner Aktualität, Rezeption und Biographie. Weiterhin gibt es den Tonmitschnitt einer zweistündigen Vorlesung über Kommunikation samt Transkription, eine umfangreiche Bibliographie, und schließlich, vollständig wiedergegeben, seine zwei wichtigsten Bücher: „The Gutenberg Galaxis“, die historische Untersuchung und McLuhans grundsätzliche Abrechnung mit Schriftsprache und Buchdruck (1962), sowie „Understanding Media“ (1964), worin er seine Medientheorie entwickelt und anhand der verschiedensten Medien erläutert hat; wie er selbst sagt, „eine Sammlung von Analyse- und Wahrnehmungswerkzeugen..., zum praktischen Gebrauch bestimmt“.

Volltextsuche in sämtlichen oder ausgewählten Texten und eine indexikalische Suche nach ausgewählten Schlüsselwörtern sind möglich. In Notizbücher lassen sich Textpassagen hineinkopieren oder eigene Überlegungen festhalten. Diese Notizbücher werden als Textdateien gespeichert, die sich dann auch mit anderen Programmen öffnen und bearbeiten lassen. (Wahlweise kann man sich von Hintergrundmusik berieseln lassen.) McLuhan sah übrigens das Buch als ein heißes Medium an: Die Linearität der Schrift zwingt sich dem Leser auf. Wenn dem so sein sollte, wird das heiße Medium Buch hier durch Suchen, Springen, Kopieren und Kombinieren von Zitaten abgekühlt.

McLuhan selbst war alles andere als ein Medien-Guru. Politisch konservativ, dem Mystizismus zuneigender konvertierter Katholik, behauptete er, daß er gegen alle Neuerungen sei und nur verstehen wolle, was vor sich geht. Literaturprofessor mit einem Faible für Joyce, kam er schon in den fünfziger Jahren auf die Alltagskultur: „Baseball is Culture“, „Comics and Culture“, „The Age of Advertising“ – solche Aufsätze lösten nach und nach die literarischen Themen ab. Als Mischung verschiedener Medientypen – Illustrierte, Fernsehsendung, Radiofeature, Buch – ist diese CD- ROM ein guter Einstieg in McLuhan. Kein „Meilenstein der Publikationsgeschichte“, wie seinerzeit das Montagebuch „The medium is the massage“ (von dem sich übrigens kaum eine Spur auf der CD findet), aber doch so etwas wie ein Werkzeugkasten zur Medienanalyse oder zur McLuhanologie – zum praktischen Gebrauch bestimmt.

„Understanding McLuhan“ von Voyager, 89 DM, Hybrid-CD für Mac und Windows. Vertrieb: pandasoft Tel.: (030) 31592-28,

Fax: -55. Systhema Tel. (089) 32473-0, Fax: -112.

Minimale Systemkonfigurationen: 640x480 Bildschirmformat mit 256 Farben, 8 MB RAM, Double-speed-CD-Laufwerk (zur Not tut's auch ein einfaches); für die Tonwiedergabe werden externe Lautsprecher oder Kopfhörer empfohlen.