CDU-Kampagne macht Graffiti-Sprayer munter

■ Der richtige Thrill kommt erst mit dem Verbot: "Wenn die ein cooles Bild zerstören, kann ich den Haß kriegen"

„Das gibt jetzt noch mehr den Kick“, ist sich Sprayer Thomas (Name von der Redaktion geändert) sicher, der seit zwei Jahren sprüht und sich in der Szene gut auskennt. Legal Sprayen ist zwar auch „nett“, aber „das wars dann auch“. „Oberdreiste“ soll es geben, „die sich jetzt total angetörnt fühlen“ von Bürgermeister Ulrich Nölles angekündigter Anti-Graffiti-Aktion. Denn mit Kopfprämien sollen saubere Bürger auf die Sprayer angesetzt werden und ehrenwerte Paten wollen Wände sofort wieder mit weißer Farbe überpinseln. „Umso besser“, unkt die Graffiti-Szene und freut sich auf den nächsten Adrenalin-Höhenflug.

Bisher waren die Züge am Bahnhof für Dirk „die geilste Nummer“. Denn am Bahnhof kann man am leichtesten erwischt werden. Polizei-Sprecher Paul Lapsien spricht denn auch vom „neuralgischsten Punkt“ Bremens: Die Bahnpolizeiwache ist dort rund um die Uhr mit 80 Beamten im Einsatz. Im Stadt- und Randgebiet aber sieht es mit der Polizeipräsenz schon schlechter aus: Eine Sonderkommission ist in Bremen nicht unterwegs.

„Äußerst schwierig“, „Knifflige Ermittlungsarbeit“, „schwierige Zeugenaufnahme“, so beschreibt Polizei-Sprecher Lapsien die Nöte der Polizei, wenn es um das Verhüten „wilder Sprayereien“ geht. Wer aber gefaßt wird, muß wegen Sachbeschädigung mit Geldstrafen oder bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe rechnen – eine besprühte Wand kann bis zu 40.000 Mark, ein Zug mit vier Waggons schon bis 200.000 Mark Sachschaden bedeuten. „Ein Zug verspricht da eindeutig den schärfsten Adrenalinstoß“, folgert Dirk, der in einem Heim lebt und seit vier Jahren jeden Tag sprayt: „Coole Bilder mit 3-D-Effekten, Schatten und Glanz“, sagt er stolz. „Dein Herz rast. Wenn Du dann noch fast erwischt wirst – ist der Kick perfekt.“

Nicht nur die Polizei hat ordentlich zu kämpfen - auch die Bremer Justiz hat jede Menge zu tun. Das mit der Sachbeschädigung sei nämlich nicht so einfach, gab Innensenator Ralf Borttscheller bei dem jüngsten CDU-Stammtisch in Schwachhausen zu bedenken: Während bei Sprayen auf gestrichene Häuserwände ganz klar Sachbeschädigung vorliege, sei dies bei Klinker oder Beton nicht der Fall. Davon will die Bremer Staatsanwältin de Boer nichts wissen: Das Material spiele überhaupt keine Rolle. Wieviele Graffiti-Sprayer verklagt wurden, kann die Staatsanwältin nicht sagen: „Darüber führen wir keine detaillierte Statistik.“

Dank der Anti-Graffiti-Aktion wird sich ganz Bremen zur neuralgischen Zone ausweiten. Nicht nur düstere Bahngleise versprechen jetzt Spray-Gefühle der superlativen Art: Auch privat bewachte Hauswände, Brücken, Gartenmauern und Durchfahrten können den Sprayern jetzt mehr denn je gefährlich werden. Dann nämlich haben die Sprayer nicht nur die Polizei, sondern auch achtsame Bürger, wütende Paten von Hauswänden und Nölle höchstpersönlich im Nacken. Denn der will künftig jeden Tag eine Brückendurchfahrt im heimatlichen Oberneuland überpinseln.

„Wenn die ein cooles Bild von mir zerstört haben, kann ich wirklich den Haß kriegen“, gibt Sprayer Thomas zu. Klar wird er dann wieder zur Spraydose greifen. „Ich will doch nichts Kriminelles tun - ich will nur für meine coolen Bilder respektiert werden“, sagt er. Während Szene-Sprayer Thomas vor Privatwänden und Denkmälern „aus Künstlerrespekt“ halt machen will, gehört Dirk zu den „Oberdreisten“: Ihm juckt es vor allem bei frischgepinselten privaten Hauswänden in den Fingern. Ganz zum Leidwesen seines Pädagogen: „Stinksauer“ ist der und will von friedlichen Graffitisprayern nichts mehr hören, die sprayen statt sich prügeln. „Ich sag nur: Gerade habe ich ein neues Haus gebaut, jetzt ist alles beschmiert, was für eine Sauerei.“ Doch für Dirk ist klar: Hauptsache, der Thrill stimmt. kat