Maulwurf anno Tobak

■ Bremer Landesarchäologen präsentieren neue Buckelbecher und Breitöpfchen

Alle zwei Jahre ziehen Bremens Archäologen Bilanz über das, was der hiesige Untergrund hergab. Die „Bremer Archäologischen Blätter 94/95“, einen aktuellen Tätigkeitsbericht der Bremer Landesarchäologen, stellte der Landesgeologe Prof. Dr. Manfred Rech gestern nebst einiger bemerkenswerter Fundstücke in der Ronzelenstraße vor.

Fazit Nummer 1 der letzten zwei Jahre Maulwurfsarbeit: schon im Mittelalter regierte in Bremen der Rotstift. Rech: „Überall stoßen wie auf Knochenreste. Die Bremer waren sparsame Leute und haben alles recycelt.“ Vor allem das Schienenbeim vom Rind taugte im 12. Jahrhundert für Kämme oder Knöpfe. Fazit Nummer 2: schon zu Zeiten, als in der Sögestraße nur das Borstenvieh flanierte, verhinderte das Recycling keine Müllberge. Die unterirdischen Abfallschichten seien laut Rech in Bremen von beträchlicher Dicke.

Vor allem im Haushaltsmüll von anno Tobak fanden sich Artefakte, die dem Professor bedeutsam erschienen, weil sie die urkundlich nur zum Teil belegbaren Erkenntisse über die Bremer Vergangenheit verifizieren. Das gilt etwa für die zentrale Rolle Bremens als Handelsstadt, die ihre Wurzeln in vorbremischer Zeit hat. Beleg A: Ein kleingerippter Buckelbecher, folglich einer aus dem Thüringer Reich. Beleg B: Das geschlungenen Grundmuster eines Breitöpfchens. Rech: „Das gab nur in altenglischen Grabfeldern des 6. Jahrhunderts, aber hier nicht.“ Ergo Fazit Nummer 3: nicht nur der interkulturelle Austausch und die personelle Fluktuation zwischen der ursächsischen Bevölkerung und der britischen Insel war beträchtlich. Die präbremischen Dorfgemeinschaften wie Huchting, Arsten oder Grambke lagen inmitten der wichtigen Handelsroute Werra-Weser-Nordsee.

Ohne die unfreiwillige Hilfe der Baunternehmer wären Bremens Archäologische Blätter allerdings erheblich dünner ausgefallen. Derzeit ist für das Schürfen in der Vergangenheit keine Mark übrig. Bitten um eine personelle Aufstockung der dreeinhalb Archäologenstellen des Landes bezeichnete Dr. Hans-Joachim Manske vom Senator für Bildung und Wissenschaft mit Blick auf die leeren Kassen als „illusorisch schon vom psychologischen her.“ Rein wissenschaftliche Ausgrabungen, wie für den Bereich Grambke gefordert, sind derzeit erst recht nicht drin.

Folglich verdankt die Stadt dem Denkmalschutzgesetz die aufsehensten Funde der letzten zwei Jahre. Sei es der Abriß des Gebäudes Ecke Katharinenstraße/Katharinenklosterhof, sei es der Ausbau der Autobahntrasse A 281 - sobald die Baustellen Erhaltenswertes zu zermalmen drohte, wurden sie zu Fundgruben. Denn zunächst einmal durften die Maulwürfe in Sachen anno Tobak ran. Unter dem Katharinenklosterhof steckte der Badorfer Topf, scheibengedreht - laut Rech „ein starkes Stück karolingischer Exportkeramik aus der Zeit von 830 bis 850.“ Zu Füßen der A 281 trat ein altgrambker Siedlungsplatz zu Tage, der das zum Wigmodien-Gau der Sachsen gehördende alt-sächsische Dorf abgelöst hatte. Rech: „Da haben wir voll ins Schwarze getroffen. Grambke wird urkundlich erst im 12. Jahrhundert erwähnt. Die Holzreste jedoch sind weitaus älter. 835 n.Chr., mindestens.“

Trotz solcher Erfolge ist es schwer, den Marktwert für die Wühlerei zu beziffern. Laut Rech würde es sich aber auszahlen, die Archäologie für bare Münze zu nehmen. „Die Deutsche Bank stopft ihre Neubau-Passage mit Läden voll, die es überall anders auch gibt Dabei waren dort am alten Marktplatz doch früher die Lederschuhmacher und Glasbläser tätig. Wenn man das alte Wurzelhandwerk angesiedelt hätte, hätte die Altstadt viel mehr an Attraktivität gewonnen.“

Lars Reppesgaard