Aufatmen in afrikanischen Ruinen

Nach zwei Monaten Verwüstung ist in Liberias Hauptstadt wieder Ruhe eingekehrt, überwacht von der Ecomog-Friedenstruppe. Aber von Staat und Wirtschaft ist nichts mehr übrig  ■ Aus Monrovia Rupert Neudeck

In der Nacht vorher hatte es gedonnert wie bei einem riesengroßen Theaterschauspiel. Blitz und Lichteffekte in allerschönster Art hellten die Bucht von Monrovia auf, wie in einer Form der Shakespeareschen Illumination. Es regnete und schüttete. Die ganze weite Bucht bis hin nach West Point, nach New Krutown und Mamba Point war eingetaucht in diese wunderbare und unbesiegbare Natur.

Mit einem kleinen dänischen Frachter war die 30stündige Reise vom Hafen Freetown in Sierra Leone aus gegangen. Das ist derzeit der einzig mögliche Weg nach Liberia, wenn man sich nicht in die Abhängigkeit der Amerikaner begeben will. Die fliegen unregelmäßig und dann auch nur nach Willkür mal ausgeguckte Journalisten, mal den gambischen Generalkonsul, mal die „Ärzte ohne Grenzen“. Aber dann landet man nur im schwerbewaffneten Mamba Point, auf dem von US-Soldaten abgeschirmten Gelände der US- Botschaft.

So aber kommt man direkt in den Hafen von Monrovia und wird morgens von der Patrouille der westafrikanischen Eingreiftruppe „Ecomog“ am Eingang abgeholt. „Monrovia is quiet“, sagt der kommandierende nigerianische Offizier: alles ruhig.

Und Monrovia bleibt „quiet“. Der Ende Mai nach sechs Wochen Straßenkämpfen vereinbarte Waffenstillstand hält. Aber die Stadt ist nach wie vor ein Greuel von Verwüstung und Brandschatzung. Die Straßenzüge um die Barclay-Kaserne sind zerstört, das Parlamentsgebäude auch und das J.-F.- Kennedy-Hospital, so daß Margret Nimene die Tränen kommen – wie auch später, als sie im Vorort Painsville ihr früheres Haus besucht, das immerhin steht und ein Dach trägt, aber innen völlig ausgeplündert worden ist. Margret Nimene-Gieraths ist Krankenschwester, verheiratet mit dem Liberianer Dr. Domo Nimene. Sie will nun wieder in Monrovia arbeiten, wenn die Situation das erlaubt.

Monrovia ist ruhig. Im Kontor der Zementfirma „Cemenco“ sitzt der letzte Deutsche in Liberia: Horst Wallwitz, verheiratet mit einer Liberianerin und selbst steinreicher Geschäftsmann. Wallwitz wurde in deutschen Zeitungen schon als von den Amerikanern evakuiert gemeldet. Jetzt aber ist er da und hüstelt nur kurz. Bei aller angewöhnten Skepsis sieht er Chancen für den Aufbau des eigenen Betriebes. Die Zementfabrik ist ja jetzt nach der ganzen Zerstörung ungeheuer wichtig, und sie wurde zwar bei den Plünderungen angetastet, aber nicht zerstört.

Der letzte Deutsche freut sich auf den Wiederaufbau

Neben der eigenen Firma hat Wallwitz auch die deutsche Botschaft vor Räubereien und Anfeindungen bewahrt. Allerdings war das geostrategisch einfacher: Die Botschaft liegt in einem geschlossenen Luxusviertel, wie es deutsche Botschaften in Afrika nun einmal an sich haben. Direkt nebenan residiert Charles Taylor, mächtigster Mann in Liberia und Führer der „Nationalpatriotischen Front“ (NPFL). Und auf der gleichen Straße liegt die Residenz des zweitmächtigsten Milizenführers, Alhaji Kromah, derzeit mit Taylor verbündet, und die nigerianische Botschaft. Die Straße ist sicher.

Horst Wallwitz ist sozusagen der Schlüsselbewahrer der deutschen Botschaft, er wohnt in der Residenz und bezahlt die ehemaligen Angestellten, die damit das große Los gezogen haben. In der Residenz sieht es aus wie in solchen Residenzen überall auf der Welt: riesige Zimmerfluchten, schickes Mobiliar, große Sitzgarnituren für die Staatsgäste, die da normalerweise kommen müßten. Aber es kommt niemand. Außer den Deutschen ziehen nur die USA, Nigeria, Guinea und Sierra Leone in Monrovia noch die Flagge hoch.

Fast alles ist anders geworden in Monrovia, seit im April die verschiedenen Warlords ihre Anhänger zum Plündern losschickten. „Dieses Land war mal der Leuchtturm der Freiheit in Afrika“, sagt in Monrovia ein Diplomat. „In den letzten Jahren ist es das Rücklicht geworden. Und jetzt geht das auch noch aus.“

Ja, eine Regierung gibt es in Liberia noch, Überrest des Staatsrats, der nach dem Friedensvertrag von Abuja im September 1995 als Koalition der Warlords gebildet wurde und zu Ostern 1996 auseinanderflog. Man solle diese Regierung nicht so ernst nehmen, sagen die Ausländer in Monrovia. Die Liberianer selber sind ganz froh, daß sie überhaupt eigene Vertreter haben. So gibt es einen Außenminister, Mohammed Keita, der einen Brief an seinen deutschen Amtskollegen Klaus Kinkel mitgibt. Und es gibt einen Gesundheitsminister, Dr. Vannah Kanneh, der selbst Arzt und kompetent ist und binnen Stunden die Verteilung des neu eingetroffenen Reises an die Krankenhäuser organisiert.

Aber wo hat die Regierung ihren Sitz? Wo wohnt der Außenminister, da ja sein Außenministerium ausgebrannt und zerstört ist? Auf solche Fragen gibt es in Monrovia kaum Antworten.

Noch schwieriger ist die Antwort auf die Frage, ob es jenseits der Hafenstädte Monrovia und Buchanan überhaupt noch ein real existierendes Liberia innerhalb seiner international anerkannten Grenzen gibt. Über Charles Taylors Residenz in Monrovia hängen zwei Flaggen: Die Staatsflagge von Liberia, der US-amerikanischen nachgebildet, aber mit dem „lone star“ in der Ecke, einem einzigen Stern. Und eine andere mit vier Sternen, in jeder Ecke einer: Das sei, heißt es, die Flagge des NPFL- Staates im Landesinneren unter Führung von Charles Taylor mit der Hauptstadt Gbarnga.

Das Landesinnere, anders als Monrovia, ist nicht sicher. Die Menschen in den Flüchtlingslagern an den Rändern von Monrovia, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in stinkenden alten Zelten vegetieren, können nicht zurück. Sie sagen: „Wir gehen erst zurück, wenn die Ecomog im Hinterland und an der Grenze zu Sierra Leone aufgestellt ist.“ Für die Liberianer ist die westafrikanische Ecomog-Eingreiftruppe von großer Bedeutung.

Die Einwohner Monrovias waren sich ja so sicher, daß der Abuja- Friedensvertrag hält. Und so kamen alle wieder zurück. Nicht nur die Politiker, auch die Familien vereinigten sich. Wie die von Frank Brown von der Episkopalischen Kirche. Er hatte irgendwann nach Kriegsbeginn 1990 seine Kinder nach Ghana in Sicherheit gebracht und ihnen damit das wichtigste ermöglicht: Schulunterricht. Seine Frau schickte er in die USA zu Freunden. Im Oktober 1995 kam Frank mit seinen Kindern zurück, und im Frühjahr sagte er seiner Frau, sie solle doch auch zurückkehren, es wäre jetzt ruhig in Monrovia. Am 1. April landete sie mit einem Charterflug aus den USA. Großer Jubel bei den Kindern und bei Frank. Fünf Nächte hatten sie – dann brach das Greuel der Verwüstung los. Tausende von Kindersoldaten zerstörten binnen weniger Wochen die Stadt. Sie wurden unter Drogen gesetzt, damit sie alle Hemmungen überwinden – eine kaputte Generation.

Eingreifsoldaten, die auch mal lachen

„90 Prozent der Bevölkerung in Monrovia sind jetzt psychisch labil und krank“, sagt Gyunt Bryant, ein Geschäftsmann und Mitglied im Vorsitz der Episkopalischen Kirche. Inzwischen hat die afrikanische Ecomog-Truppe das Kommando übernommen und hält das Stadtleben fest im Griff. Auf allen Straßen sind gut durchgeführte Sperren, bemannt von Afrikanern, die mit ihren afrikanischen Brüdern vertraut sind. Zur Bewachung unseres Lastwagens im Hafen ist ein Ogoni aus Nigeria abgestellt, er heißt Ben und kommt, sagt er, aus Ken Saro-Wiwas Geburtsdorf. Diese Soldaten sind entspannt, sie lachen auch mal – man stelle sich vor, da wären wieder mal wie in Somalia italienische oder gar deutsche Soldaten mit ihrem ganzen Luxus- und Freizeitequipment, die erst mal ganze Stadtteile sprayen und säubern und freimachen müßten, um überhaupt anzukommen ...

Da sind Afrikaner allemal besser. Europa – mit der Ausnahme Frankreichs – weiß nicht mehr, was es in Afrika soll, die USA wissen es noch weniger. Sie wissen nur, daß Charles Taylor zu Anfang mal von Libyen unterstützt wurde, und da setzt der pawlowsche Reflex ein: Taylor – niemals! Aber Politik gibt es nicht mehr in Liberia.

Auch das internationale Hilfssystem kann so nicht weitergehen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat in Liberia nun schon zum dritten Mal alles geplündert bekommen, die UNO verlor 95 Prozent ihres Wagenparks. Diese Größtorganisationen sollten sich nicht wundern. Sie ersetzen ja einfach vor aller Augen pünktlich Wagenflotten, Laptops und Computer. Das meiste Geld, das Jean-Daniel Tauxe von IKRK verlangt („Die IKRK-Mitglieder dürfen ihre Reaktion nicht auf die Finanzierung von Nothilfe beschränken“) geht so an Luxusverbände, die in Afrika nach den Tarifordnungen Mitteleuropas arbeiten und sich in Monrovia im „River Way“ treffen, dem Entertainmentkomplex der UN mit Tennisplatz und US-Klub. Die verlorenen Köstlichkeiten der internationalen Hilfsgemeinschaft werden gleichzeitig von Liberianern auf dem Markt so billig angeboten, wie man es gar nicht ausplaudern sollte. Die Bevölkerung bekommt mit, daß Raub sich lohnt. Man kann das Ganze in einem Jahr wiederholen.

Aber am ersten Sonntag seit Ostern, an dem keine Kindermörderbanden mehr durch die Stadt jagen und ballern, atmen die Liberianer auf. Die vielen Kirchen in Monrovia sind proppenvoll. Es ist ein herrlicher Sonnentag, es wird in wunderbaren Chören gesungen, Monrovia freut sich, atmet durch. Auch Margret Nimene lebt nun wieder in ihrem kleinen ausgeraubten Häuschen in Monrovia – ohne den Schutz von US-Marines, der ja im Zweifelsfall auch nur „uns“ Weißen gilt, sondern umgeben nur von Liberianern, die sie kennt und die sie bei der Rückkehr enthusiastisch begrüßten. Wird der Phönix Liberia aus der Asche auferstehen?