„Erste Lebenszweige“ helfen Kindern

■ Ausländische Eltern behinderter Kinder greifen zur Selbsthilfe:„Ilkcandal“ berät und hilft

Ilknur, Caner und Erdal – so heißen drei behinderte Kinder in Bremen. Nach ihnen wurde nun ein Verein benannt. Es ist der erste Verein in Deutschland, der behinderte Kinder ausländischer Eltern gezielt fördern will. „Ilkcandal“, der Name der Elterninitiative, setzt sich aus einzelnen Silben der Vornamen von Ilknur, Caner und Erdal zusammen. „Ilkcandal“ ist türkisch und heißt auf deutsch „erste Lebenszweige“ – soviel wie Hoffnung.

Die Belastung von Eltern, besonders die von Müttern mit behinderten Kindern ist groß. Wenn Sprachbarrieren und ein fremdes kulturelles Umfeld hinzukommen, wachsen die Probleme oft zu einem unüberschaubaren Berg. „Aber wir ausländischen Eltern werden von Ärzten oft nur unzureichend über die notwendige und mögliche Gesundheitsversorung unserer behinderten Kinder informiert“, sagt Nuray Yüksel. Sie will diesem Manko abhelfen. Die Mutter eines neunjährigen Mädchens und eines fünfjährigen Jungen, beide geistig behindert, hat nun selbst die Initiative ergriffen – und gründete „Ilkcandal“. Dort haben sich bislang 20 betroffene Eltern aus Polen, Deutschland und aus der Türkei zusammengefunden.

„Wir verstehen uns als ein interkulturelles Projekt, das eng mit deutschen Organisationen zusammenarbeitet. Über neue Mitglieder freuen wir uns“, betont Yüksel. Einmal wöchentlich halten die Eltern im „Haus der Familie“ in Tenever eine öffentliche Sprechstunde ab. Dort werden Familienangehörige zu allen rechtlichen und gesundheitlichen Fragen beraten, die sich aus der Behinderung ihrer Kinder ergeben. Aber bei den gemeinsamen Treffen geht es auch darum, Kinder und Familien aus ihrer Isolation herauszuholen.

Auch die Verbindung zu Organisationen in den Herkunftsländern ist den Eltern wichtig. „In der Türkei beispielsweise fordern traditionelle Zwänge oft eine Heirat unter Verwandten“, berichtet Nuray Yüksel. Über gesundheitliche Risiken für Kinder aus Verwandtschaftsehen werde wenig nachgedacht. „Auch da wollen wir aufklären.“ Denn wenn behinderte Kinder zur Welt kommen, seien sie die Leidtragenden. Oft genug würden sie versteckt – „und immer werden die Frauen für die Behinderung der Kinder verantwortlich gemacht“, sagt Nuray Yüksel.

Vor allem letzteres bestätigt die angehende Behindertenpädagogin Sevgi Düsün. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Bremer Universität vergleicht sie das Leben behinderter Kinder in der Türkei mit dem behinderter türkischer Kinder in Deutschland. Der größte Unterschied sei vor allem, daß es in Deutschland mehr medizinische und pädagogische Hilfen gebe. „Aber das entwickelt sich in der Türkei jetzt“, sagt sie.

Die größte Schwierigkeit der türkischen Behinderten in Deutschland sei, die notwendige Hilfe auch zu bekommen. „Viele Familien werden nicht ernst genommen und erhalten eine Versorgung zweiter Klasse.“

Zu all dem kommen für Eltern behinderter Kinder, die als Einwanderer oder Flüchtlinge ins Land kommen, aufenthaltsrechtliche Probleme, sagt Thomas Pörschke vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). „Viele haben Ausländer haben Angst, daß sich eine Behinderung negativ auf das Bleiberecht auswirkt.“ Je unsicherer der Aufenthaltsstatus, desto größer sei die Angst vor Abschiebung. „Das ist in vielen Fällen berechtigt“, weiß er aus der Flüchtlingsbetreuung im Bremer Norden. „Viele verzichten deshalb auf Hilfen, die ihnen eigentlich zustehen. Andrea Rödig

Heute veranstaltet der Verein Ilkcandal um 19 Uhr eine Informations- und Kulturveranstaltung im „Haus im Park“, Züricher Str.40 ein.Weitere Informationen jeden Samstag von 15-18 Uhr unter Tel. 421562, sonst unter Tel. 4673660