Mutters angenehm federnder Bauch

■ Endlich gibt es das Beste von Sondermann und andere Meisterwerke seines Erfinders, des Cartoonisten Bernd Pfarr, in einem Prachtband: „Komische Bilder“

Bernd Pfarr muß man nicht mehr anpreisen. Er gehört zu den wenigen Cartoonisten, denen es gelungen ist, eine Comicfigur mit einem kompletten Paralleluniversum zu erschaffen. Sondermann, ein meist in korrektem grauem Zwirn gekleideter, nur in äußerster Not ohne Hut und Brille anzutreffender Angestellter, hat seinen festen Platz im kollektiven Gedächtnis gefunden. Titanic wäre ohne ihn nicht zu denken. Aber auch außerhalb des Heftchens kann er bestehen. Zweitausendeins ehrt Sondermanns Erfinder Bernd Pfarr jetzt mit einer großen, schön gedruckten und gebundenen Monographie. Sondermann erinnert, mit seinem stets etwas verdutzten Gesichtsausdruck und seinem korrekten Homburg, an die Generation der Väter, die „skeptische Generation“ der fünfziger Jahre. Aber das täuscht, er ist ganz und gar von heute, wie man am Mobiliar und einer komplizierten Mutterbindung erkennen kann. Nur daß er gelegentlich aus seinem angestammten „Raum-Zeit-Kontinuum“ herausgeschleudert wird, um sich mit seltsamen Mächten wie bewaffneten Pinguinen, Yetis, Herrn Mbwlala, dem Superuhu oder dem Geist des verstorbenen Tanzbären Rochus zu schlagen. Sondermann steht solche Begegnungen in der Regel mit einnehmender Gelassenheit und Freundlichkeit durch. Überhaupt hat er nichts Aufbrausendes, noch im Kochtopf bleibt er freundlich und korrekt. Man darf feine Empfindsamkeit, große Verletzlichkeit und Herzensbildung dahinter vermuten. Nicht daß Sondermann ganz ohne tiefere Passionen wäre – einmal steht er, bloß mit einem Hauch von einem Elfenkostüm bekleidet, im Treppenhaus auf den Hausmeister einschimpfen. Auch gleichgeschlechtliche Praktiken sind ihm nicht fremd. So beschließt er auf einer Dienstreise zu dem Büroleiter in Eppstein, der ihn nicht leiden kann: „Ich werd' meinen kleinen Pimmel in ihn reinstecken! Schätze, das wird ihn beruhigen!“ Es wird das zugleich schwierige und innige Verhältnis zu seiner Mutter gewesen sein, das Sondermanns innere Ausdifferenzierung so weit getrieben hat. Einmal sieht man ihn an einem Tisch voller Gegenstände stehen und einer prallen Reisetasche die Hand auflegen: „Betrübt mußte Sondermann feststellen, daß das wohlige Rieseln im Bereich der Lendenwirbelsäule, welches sich durch das feste, wenngleich nicht harte Pressen der Handinnenflächen auf den trotz des fortgeschrittenen Alters noch immer angenehm federnden, Widerstand bietenden Bauch der Mutter bei ihm einstellte, bei leider manchmal unumgänglicher Abwesenheit der Mutter praktisch kaum mit einem anderen Gegenstand zu erlangen war.“ Solche Texte, die ungemein elegant ein abgründiges Familiendrama in einem einzigen Satz evozieren, sind eine bislang noch nicht genug gewürdigte Leistung Bernd Pfarrs. Wie die ganz großen Cartoonisten beherrscht er die klassische Form, die im New Yorker entwickelt wurde – 1 Bild, 1 Satz. Man muß den Literaten Pfarr preisen. Viele seiner Texte sind so gut, daß sie fast schon ohne Bild funktionieren: „Ermüdet vom Tagwerk wartete Rasputin an der Haltestelle. Leichtes Spiel also für Heinz Schindel und seine Fliegenklatsche.“ Ohne das vom Textkünstler Pfarr traumwandlerisch sicher plazierte, vollkommen aberwitzige „also“ wäre das Bild nur halb so komisch. Auch das wäre allerhand. Sehen Sie selbst. Jörg Lau

Hans Traxler (Hrsg.), Bernd Pfarr: „Komische Bilder“. 236 Seiten, geb., mit Texten von Robert Gernhardt und Volker Reiche, 44 DM