Fernsehen als Feind

■ "La Repubblica" ist Italiens zweitgrößte Zeitung. Ein Gespräch mit ihrem Gründer und Direktor Eugenio Scalfari

taz: Die Italiener lesen weniger Tageszeitungen als ihre europäischen Nachbarn. Woran liegt das?

Eugenio Scalfari: Das hat historische Ursachen. Italien war immer ein Land, in dem die Masse wenig Bildung besaß und wenig gelesen wurde. Die Mittelschicht war sehr schmal, und die wirtschaftliche Macht konzentrierte sich auf wenige Familien. In ganz Italien wurden 1938 nur täglich 5 Millionen Tageszeitungen verkauft. In den siebziger Jahren wurde dann die Mittelschicht breiter, und Bildung war kein Privileg mehr.

Damals wurde La Repubblica gegründet. Wir haben neue Leser angesprochen, vor allem Frauen und Jugendliche. Die anderen Tageszeitungen zogen nach. 1990 wurden dann insgesamt sechs Millionen Zeitungen verkauft. Seitdem sinkt der Verkauf wieder, und zwar rapide. Heute sind wir bei vier Millionen angelangt – noch unter dem Niveau von 1938. Vor allem deshalb, weil mittlerweile das Fernsehen auf dieses neue Publikum, das damals entstand, seine schwere Hand legte.

An allem ist also das Fernsehen schuld?

Das Fernsehen ist immer der Feind der Zeitungen. Aber Italien hat dem Fernsehen besondere Voraussetzungen geboten. In anderen Ländern sind vor der Geburt des Fernsehens große Volkszeitungen entstanden. Italien ist das einzige Land der Welt, in dem die meistverkauften Zeitungen sogenannte Qualitätszeitungen sind. In Deutschland verkauft die Frankfurter Allgemeineweniger als Bild (400.000 gegenüber 5 Millionen, d. Red.). In Italien gibt es kein Äquivalent zur Boulevardpresse anderer Länder. Das ist eine Anomalie, die den Siegeszug des Fernsehens gefördert hat. Seit der Gründung von Berlusconis Privatsendern ist die Lage geradezu grotesk geworden. Berlusconis Fininvest hat 1995 allein 42 Prozent der italienischen Werbeeinnahmen einkassiert.

Die Freude über Ihr zwanzigjähriges Bestehen ist etwas getrübt: Noch vor einigen Jahren war Repubblica die Nummer eins unter den italienischen Tageszeitungen. Heute verkauft Ihre Zeitung weniger als der Corriere della Sera. Was ist passiert?

Wir stehen heute stärker unter Druck, weil wir im Gegensatz zu unserer Konkurrenz keine regionale Bindung haben. La Repubblica ist eine überregionale Tageszeitung mit verschiedenen Lokalteilen. Wer detaillierte Informationen über die Geschehnisse in Rom, Palermo oder Turin lesen möchte, kauft sich eine Lokalzeitung, in der auch alle Todesanzeigen abgedruckt werden. Genauso beim Sport: Wir haben keinen Fußballverein, über den wir mit besonderer Hingabe berichten.

Unsere Zeitung ist viel stärker von der politischen Großwetterlage abhängig als die anderen großen Blätter. Der Corriere della sera ist seit 130 Jahren die Zeitung der lombardischen Bourgeoisie, also ein konservatives Blatt. Wir hingegen sind die Zeitung derer, die etwas ändern wollen. Unser Adrenalinspiegel schwankt viel stärker. Wenn die Leute, so wie jetzt, von den Änderungen erst mal genug haben, lesen sie lieber ein moderates Blatt.

Heute gehört La Repubblica, die bei ihrer Gründung mit dem Slogan „unabhängig, aber nicht neutral“ angetreten ist, dem Olivetti- Chef Carlo de Benedetti. Somit wird sie, wie alle anderen italienischen Zeitungen, von einem Industriellen kontrolliert. Kann es Ihnen passieren, daß Ihnen morgen wegen inhaltlicher Unstimmigkeiten gekündigt wird?

Natürlich kann mir das passieren. Am Anfang waren der Verleger Carlo Caracciolo und ich die Haupteigentümer der Zeitung. Dann stieg der Umsatz rapide auf 600 Milliarden Lire. Wir selbst hatten kein Kapital, und jede Kapitalerhöhung hätte uns in Schwierigkeiten gebracht. Deshalb haben wir an De Benedetti verkauft. Aber warum sollte er mir kündigen? Die Zeitung steht gut da. Außerdem werde ich meinen Platz von alleine räumen. Ich bin jetzt 72 Jahre alt und manchmal ziemlich müde.

Im vergangenen Jahr hatten Sie eine heftige Auseinandersetzung mit Silvio Berlusconi während einer Fernsehsendung. Sie zitierten Parlamentsakten, aus denen hervorgeht, daß Banken aus dem Umfeld der Geheimloge P2 Berlusconi große Summen geliehen haben. Berlusconi hat Sie daraufhin als „Lügner“ beschimpft. Warum diese Kluft zwischen dem Zeitungschef und dem Medienzaren?

Berlusconi ist unser Gegner geworden, als er 1990 versucht hat, auch L'Espresso und La Repubblica einzukaufen. Dieser Krieg hat zwei Jahre gedauert, und wir haben Berlusconi gut kennengelernt. Er ist ein großer Unternehmer, oder besser ein talentierter Impresario, der ein großes Theater dirigiert. Er hat in diesem Land Werte eingeführt, die für mich Unwerte sind. Die Basis seiner Welt ist der schnelle Konsum. Statt auf Reflexion setzt er auf Slogans. Unsere Zeitung hingegen ist ein seriöses Produkt geblieben, auch wenn die Artikel manchmal reißerisch waren. Aber das haben wir getan, um bestimmte Werte zu verteidigen. Einer dieser Werte ist Bildung. Bildung ist für Berlusconi ein Fremdwort, und das trennt uns unwiderruflich.

Berlusconis Partei „Forza Italia“ blockiert das neue Medien- kartellgesetz und kämpft für Steuervergünstigungen, die vor allem dem Unternehmen ihres Vorsitzenden zugute kommen würden. Saniert Berlusconi auf diese Weise seinen Konzern?

Die Rettung seines Konzerns ist sein Ziel, seit er in die Politik eingestiegen ist. Noch ist ihm das nicht gelungen, aber er kommt täglich einen Schritt weiter. Am Anfang haben sich alle darüber empört, heute spricht kaum noch jemand darüber. Zudem läuft gegen ihn derzeit ein Prozeß wegen Bestechung und illegaler Parteienfinanzierung. Das kann jedem Unternehmer passieren. Auch gegen De Benedetti wird ermittelt, aber De Benedetti will nicht Ministerpräsident werden. Der Skandal besteht darin, daß Berlusconi über die politischen Mittel verfügt, um diesen Prozeß zu beeinflussen. Interview: Michaela Namuth