Ein Blick über den Phallisadenzaun

Warum Pornographie und Unfallkliniken miteinander verwandt sind, und wie sich eine Feministin ein Erotikmuseum vorstellt  ■ Von Ute Scheub

Nicht erst seit dem Besuch in Beate Uhses Erotikmuseum habe ich den dringenden Verdacht, daß Pornographie und Unfallchirurgie eng miteinander verwandt sind. Beide haben zu tun mit Gliedern, die von den dazugehörenden Körpern abgetrennt worden sind. Der Pornograph allerdings ist mit dem Prozeß des Abtrennens beschäftigt und der Chirurg mit dem Wiederannähen. Gemeinsam ist beiden Tätigkeiten die dafür notwendige sterile Atmosphäre. Hätte das Beate-Uhse-Museum auf seine diskrete Beleuchtung verzichtet und OP-Strahler eingesetzt, dann würde schonungslos ins Licht gesetzt, daß seine Vitrinen mit all den einzelnen Körperteilen die Softvariante eines Kriegslazaretts darstellen. Die allseits verbreitete Männerphantasie von weißen Krankenschwestern, die die ihnen anvertrauten Männer liebestoll in ihren Betten überfallen, ist womöglich nur eine Folge dieser klinischen Verwandtschaft.

Daß Männer solche Phantasien haben, liegt womöglich auch an der männlichen Anatomie. Ihr Geschlechtsorgan ist ihnen äußerlich, ein Alter Ego, das erkennbar ein Eigenleben führt und deshalb oft possierliche Namen trägt: Eugen, Otto, Pimpel, Dödel, Schniedelwutz. Diese Eigenständigkeit vom eigenen Körper ist womöglich mitverantwortlich für den männlich- sezierenden Blick: die Abtrennung einzelner Glieder vom Körperganzen, des Sex von der Verliebtheit, der Wirkung von der Ursache. Diese Zergliederung der lebendigen Welt in tote Einzelteile macht die Sterilität so manches naturwissenschaftlichen Forschungszweigs und eben auch der Pornographie aus.

Das alles ist meine, unsere Sache nicht. Je höher die Schwänze schwillen, desto schneller schwindet meine weibliche Lust. Beate Uhse hat kein Erotikmuseum, sondern ein Sexmuseum errichtet. Einen Tempel des männlichen Blicks, in dem meine eigenen Wünsche und Begierden nur als Lustverstärker für die des Mannes vorkommen.

Aber existiert es überhaupt noch, das weibliche Begehren? Der weibliche Blick ist der kolonialisierte Blick. Ein nackter Mann irritiert uns nur, eine nackte Frau beäugen wir mit männlich genormtem Blick: Die Schenkel sind zu dick, die Brüste zu klein, und ihre Orangenhaut hätte sie nun wirklich beizeiten mit Stretchtraining beseitigen können.

Auch unsere potentiellen Bundesgenossinnen, die Malerinnen, die das uralte Machtgefälle „Maler malt schönen weiblichen Akt“ durchbrechen könnten, haben kläglich versagt. Vor der bürgerlichen Revolution in Frankreich malten sie Marialein mit Jesulein, nach der französischen Revolution malten sie stillende Mütter mit glücklichen Kindern. Nur wenige trauten sich aus dieser Domestizierung ihrer Phantasie auszubrechen und mehr darzustellen als Kinder, Bäuerinnen, rotbackige Äpfel. Suzanne Valadon (1865–1938) zum Beispiel. Aber auch sie malte vorwiegend weibliche Akte. Oder Alice Neel (1900–1984). Auf ihren Leinwänden tummeln sich nackte Männer, aber auch Schwangere oder ältere Paare, die den gängigen Schönheitsvorstellungen entschieden widersprechen. „Malerin malt schönen erotischen Mann“ – diese Konstellation ist bezeichnenderweise überaus selten.

Ein erotisches Museum, wie es mir gefällt, ist ein wunderschönes Luftschloß in fernen Ländern. Zu betreten erst nach der verkrampften pädagogischen Anstrengung, den männlichen Herrscherblick als solchen zu entlarven, die Fremdbestimmung abzustreifen, auf siebenhundertdreiundsechzigjährige Suche nach den „ureigenen“ weiblichen Lüsten zu gehen.

Vielleicht aber gäbe es Zwischenschritte, Ansätze, Andeutungen.

Zum Beispiel eine Abteilung über männliche Reizwäsche: Meterlange Penisverlängerungen aus Borneo. Ritterrüstungen. Knickerbocker. Pluderhosen. Nachthemden mit Zipfelmützen.

Zum Beispiel eine Abteilung über Homosexualität im Tierreich: Schwule Vögel, lesbische Fische, masturbierende Affen, kannibalistische Gottesanbeterinnen.

Zum Beispiel eine ethnologische Abteilung, die gründlich und umfangreich über die Liebessitten in allen Frauen und Herren Ländern aufklärt: von den Fruchtbarkeitsritualen in Bali über das Männerkindbett in Polynesien bis zum heiligen Stand der Zwitter bei den Sioux. Eine wichtige Unterabteilung würde sich den Folgen der christlichen Lustfeindlichkeit widmen.

Gleich nebenan wäre die Reklame- und Agitpropabteilung für das Matriarchat angesiedelt. Anders als den Frauen im Patriarchat ist es den Männern in mutterrechtlich organisierten Gesellschaften bekanntlich verdammt gut gegangen. Weiber und Kerle waren so gut wie gleichberechtigt, kriegerische Auseinandersetzungen sehr viel seltener. Die Besucher und Besucherinnen dieser Abteilung würden zuerst in einen Raum geführt, in denen die Schrecken der genitalen Verstümmelung angedeutet werden. Das Wegschneiden der Vorhaut oder der Klitoris als künstliche Überhöhung der Geschlechterunterschiede, so würden sie dort erfahren, war und ist eines der Markenzeichen des aggressiven Patriarchats. Danach aber, im nächsten Raum, würde ihr Schritt in eine niedliche palmengedeckte Hütte der Trobriander gelenkt. Dezentes Meeresrauschen im Hintergrund, an der Wand die Projektion eines weißen Strandes mit türkisfarbenen Wellen. Wer wäre so blöd, dort nicht in einem „Junggesellenhaus“ wohnen zu wollen, um sich zusammen mit anderen heranwachsenden Mädchen und Jungen den ganzen Tag dem Liebesspiel zu widmen?