„Singen soll ich für die Leute ...“

Alles begann mit Muddy Waters' Plastikmundharmonika: Marla Glen singt den Blues, und keiner hat's gemerkt. Dafür trifft sie auf der anstehenden Tour den Nerv der Fast-Body-Szene, aber „da ist nichts Schlechtes dran, oder?“  ■ Von Waltraud Schwab

„Ich muß erst lernen, wie man ein solches Leben lebt, bevor ich lernen kann, es zu lieben“, sagt Marla Glen. Zwei Jahre, nachdem sie als neuer, in seiner Laufbahn noch unberechenbarer Komet des Blues aufstieg, hat die in Paris lebende Künstlerin vor allem mit den negativen Seiten des Ruhms zu kämpfen: Im Sog der Gerüchte um ihre Herkunft, ihren Charakter, ihren Lebensstil wird die Musik auf den zweiten Platz verwiesen. Als „Sünderin von Chicago“ stellte Harald Schmidt sie in seiner Show zu Beginn der jetzigen Tournee vor, nicht als Sängerin.

Von gefährlicher Romantik umrankt war ihr Image von Anfang an: Ein im Ghetto aufgewachsenes Mädchen, das mit einer Plastikmundharmonika, die ihr kein anderer als der legendäre Muddy Waters geschenkt hat, früh musikalisches Genie entfaltete. Auch daß sie eine Menge schlechtbezahlter Jobs als Kellnerin, Bauarbeiterin, Putzfrau hatte, bevor sie dank glücklicher Umstände zum Star wurde, spornt die Phantasie an. Hinzu kommt, daß die Klischees, mit denen weibliche Popstars bedacht werden, bei Marla Glen nicht ziehen – singt sie doch wie ein Mann, kleidet sich wie einer, trinkt und raucht angeblich nicht wenig und liebt Frauen.

Wer sich so explizit zur Konkurrentin der Männer macht, muß damit rechnen, daß die hingeworfenen Episoden als nicht mehr zu kontrollierender Bumerang zurückkommen. „Die Leute phantasieren sich zuviel zusammen. Sobald sie hören, daß du aus Chicago bist und schwarz, halten sie dich für eine Art Gangster oder nehmen zumindest an, daß du ein mieses Leben hattest, daß deine Eltern sich trennten und dich verwahrlosen ließen. Alles Scheiße. Schubladen, in die mich die Leute stecken, weil sie zuviel fernsehen.“

Zwei legendenreife und wohl sogar wahre Begebenheiten gibt es in Marla Glens Leben allerdings. Die eine ereignete sich, als sie ein Gebäude bewachte, an dem Nina Simone vorbeikam – und Marla bald danach ihre Köchin und Leibwächterin wurde. Mit ihrem Song „Travel“ erinnert Glen an die berühmte Jazzsängerin, „die mich Schreiben gelehrt hat“, angespornt hat, die Musik weiterzuentwickeln. Simone „hat meiner Karriere Leben eingehaucht, nicht Musik“. Die andere Episode brachte Glen nach Frankreich, als sie in einem Musikwettbewerb ein Ticket dorthin gewann – und blieb.

Spätestens mit ihrem ersten Album, „This is Marla Glen“, hören die Zufälle auf, denn obwohl sie gerade mit heftigstem Rock'n'Roll beschäftigt war, wurde von der Plattenfirma entschieden, die Sängerin dem großen Publikum erstmal mit softeren Liedern zu präsentieren. Ein Schaden war das trotzdem nicht, dringt ihre tiefe Stimme doch in jedem Stück mit großer Schwere und Leidenschaftlichkeit durch, erobert sich Raum. Egal, ob sie gegen Ungerechtigkeit anschreit oder gegen den Verlust von Liebe, ihre beiden Hauptthemen. Eine Revolution soll damit aber nicht angezettelt werden. „Es sind persönliche Songs, und wenn die Leute daran Anteil nehmen wollen und ähnliche Erfahrungen haben, that's cool.“

Mit dem zweiten Album „Love and Respect“, mit dem Marla Glen derzeit durch Deutschland tourt, „sollte der Nerv der Disco-Szene, der Fast-Body-Szene getroffen werden. Mehr Spaß sollte dieses Album machen. Da ist nichts Schlechtes dran, oder?“ Die Musik geht schneller rein und schneller wieder raus. Es sind Arrangements, die auf gute Laune aus sind, die poetischen Liedtexte von Marla Glen kann man dabei leicht überhören. Es gibt weniger Ecken und Kanten, schnelleren Rhythmus, schnelleren Sound; die Musik ist heftig, nicht ohne pathetische Liebe, aber vor allem leichter konsumierbar. Sich beim Tanzen sagen lassen, daß „wir eine Richtung finden müssen“, ist leicht.

Auf der Bühne ist Marla Glen der Mann. Wer etwas anderes wahrnehmen möchte, muß sich an der Weichheit von Details wie der Bewegung ihrer Hände oder einer unkontrollierten Körperdrehung orientieren. Das Showbusineß ist hart, die Presse versucht ihr allerhand anzuhängen, und wie so oft verbirgt sich hinter einer starken Fassade, hinter ihrer „erdigen“ Stimme, ihrer harten Sprache und ihrem Auftreten sehnsüchtige Zärtlichkeit und Verletzlichkeit. „Wie würden sich die Leute fühlen, wenn ich überall herumerzählen würde, daß ihre Mütter Prostituierte waren. Ich finde das alles ziemlich traurig. Mir gefällt das Geschäft nicht mehr. Singen soll ich für die Leute, aber was geben sie mir? Einen Haufen Lügen und einen Stich ins Herz.“

Manches, was Marla Glen heute sagt, klingt illusionslos, als sei sie bereits 30 Jahre im Geschäft: „Ich erwarte nichts mehr. Ich lebe bereits jenseits meiner Träume.“ So wird die 36jährige Sängerin im aktuellen Pressetext der Plattenfirma zitiert, und obwohl sicher „beiläufig“ gemeint, kokettiert der Satz mit Vorstellungen von Tragik und Endgültigkeit; als wäre sie ein Orkan gewesen, den die eigene musikalische Leidenschaft leergefegt zurückläßt. Der Satz läßt aber auch hoffen: daß die Frau mit dieser großartigen Stimme neue Wege findet und immer weitergeht.

Tourdaten: 23.1. Hamburg, 24.1. Bielefeld, 25.1. Bremen, 26.1. Kiel, 28.1. Hannover, 29.1. Düsseldorf, 30.1. Dortmund, 31.1. Kassel, 1.2. Frankfurt, 3.2. Berlin, 4.2. Leipzig, 5.2. Fürth, 6.2. Ulm, 7.2. Freiburg, 8.2. München, 9.2. Stuttgart