Die zwei Enden der Kunst

Die Installation „Zugzwang“ von Rudolf Herz im Kunstverein Essen zeigt einen Raum, der mit Hitler- und Duchamp-Porträts komplett tapeziert wurde. Beide Aufnahmen stammen aus dem Fotoatelier Heinrich Hoffmanns  ■ Von Brigitte Werneburg

Ein Kopf-an-Kopf-Rennen in der Aufmachung von Warhol-Postern ist zunächst alles, was es zu sehen gibt. Rudolf Herz arbeitet im Kunstverein Ruhr, Essen mit minimalistischem Gestus. Er hat den Raum des Kunstvereins mit einer Fototapete ausgekleidet, die zwei grobgerasterte Siebdruckgesichter zeigt: Adolf Hitler – und Marcel Duchamp.

„Zugzwang“ nennt Rudolf Herz seine temporäre Installation, in der er die Interpretationsmöglichkeiten bedrohlich offenhält. Aber warum Hitler und Duchamp? Der Künstler Rudolf Herz ist Kunst- und Medienhistoriker, seine Münchner Ausstellung „Hoffmann & Hitler. Fotografie als Medium des Führer-Mythos“ war letztes Jahr in die Schlagzeilen geraten. Obwohl sie in den Feuilletons der großen Zeitungen als richtiger medienkritischer Ansatz gewürdigt worden war, der die fotografische Propagandaarbeit für das Produkt „Der Führer“ endlich kenntlich machte, wurde die Ausstellung nicht nach Berlin übernommen – entgegen der ursprünglichen Zusage. Die jüdische Gemeinde sah in der öffentlichen Präsentation von Hitler-Bildern die Gefühle jüdischer Menschen verletzt. Dagegen läßt sich schlecht argumentieren. Damit aber gewann wieder Hitler als Mythos.

Marcel Duchamp, wie alle Welt weiß, hat zu Beginn dieses Jahrhunderts mit einem denkwürdigen Akt des Product placements die Gewißheiten über die Kunst des 20. Jahrhunderts zunächst erschüttert und schließlich nachhaltig verändert. Aber nicht die Provokation durch das Ready-made ist zunächst der Grund der riskanten Gegenüberstellung, sondern ein Akt des Zufalls. Seine noch heute viel umrätselte Reise nach München führte Duchamp 1912 auch in das Fotoatelier Heinrich Hoffmanns, wie ein dort entstandenes Porträtfoto beweist.

Diesem Bild stellt Herz eine Hoffmann-Fotografie von Hitler aus dem Präsidentenwahlkampf 1932 gegenüber. In neusachlichem Duktus zeigt sie ihn im zivilen Anzug. Beide Fotografien sind sich formal sehr ähnlich. Nicht zuletzt die bürgerliche Einheitstracht des schwarzen Anzugs mit weißem Hemd und Krawatte bringt die genuinen Antagonisten auf die porträtfotografische Generallinie. Fotografierte und Fotograf bringt ihre Fixierung auf die Kunst zusammen. Zugespitzt ließe sich sagen, sie sind ihr feindlich gesonnen. Duchamps Aktion „Fountain“ 1917 wurde von zeitgenössischen Beobachtern wie dem Dadaisten und Experimentalfilmer Hans Richter durchweg positiv als „Ende der Kunst“ gewertet.

Dem kam, in ganz und gar negativer Weise, die Aktion „Entartete Kunst“ zwanzig Jahre später sehr viel näher. Sie war der Versuch des Möchtegernkünstlers Hitler, durch Auslöschung von Moderne und Avantgarde erneut eine Abbild- Kunst zu propagieren, die den Massen lieb und vertraut war. Allerdings ist Duchamps Konzept des Ready-made weniger das Ende der Kunst als vielmehr die Offenlegung eines allgemeinen Prinzips westlicher, kultureller Innovation. Nach Boris Groys besteht es darin, das als profan Verachtete auf- und das als kulturell wertvoll Geltende abzuwerten.

Damit ist man bereits bei der Politik, wenn man von Kunst spricht. Hat Hitler nicht die profanen politischen Vorurteile aufgewertet, die das Bürgertum mit den von ihm verachteten Massen teilte? Die Vorurteile, welche es durchaus pflegte, nur insgeheim, weil sie ihm selbst peinlich und „vulgär“ erschienen? Und hat Hitler nicht die bürgerlichen „Rücksichtnahmen“ abgewertet und damit den Prozeß der Auflösung der bis dato gültigen politischen Kultur ungeheuer dynamisiert?

Am 9. November 1938 brannte auch die Synagoge von Essen, in deren Untergeschoß der Kunstverein Ruhr heute seinen Ausstellungsraum hat. Sucht man hier im brutalen Raster der Bilder nach Halt, fällt nach einer Weile eine Art Torbogen auf, der ebenfalls mit der Fototapete beklebt ist. Das macht ihn zunächst unauffällig, aber dann gibt dieses Tor der Rauminstallation einen Hauch von Pathos, von Monumentalität. Der plötzlich sperrige Bauteil verweist den Besucher des Kunstraums auf den Ort, an dem er sich befindet, denn der Torbogen stützt den Thoraschrein im Erdgeschoß der 1986-88 rekonstruierten Synagoge, die heute als historisch-politische Dokumentations- und Mahnstätte dient.

Die Leiterin Edna Brocke hatte nach genauer Information durch Peter Friese, den Kurator des Kunstvereins, keine Schwierigkeiten, ihre Einwilligung zu dieser Rauminstallation in ihrem Haus zu geben. Sie scheint der Auffassung zu sein, daß sich Museum und Kunstraum dahingehend ergänzen, daß die Auseinandersetzung mit der Gegenwart, die im Kunstraum in besonderem Maße stattfindet – wenngleich auch geschützter als im öffentlichen Raum – ebenso ein jüdisches Anliegen ist, wie die Erinnerung an die Entmachtung der Juden im bürgerlichen Leben Deutschlands, an ihre Diskriminierung, dann an ihre Deportation und Ermordung in den Konzentrationslagern. Diese Ansicht ist der in Berlin gepflegten Auffassung ganz und gar entgegen gesetzt. Das wird im Streit um den Leiter des Jüdischen Museums, Amnon Barzel, deutlich, dem man von institutioneller deutscher Seite her die Möglichkeit verweigern möchte, im jüdischen Museum auch Gegenwartskunst auszustellen. Man glaubt offensichtlich, daß die jüdische Seite sich um „ihre“ Vergangenheit zu kümmern, sich aber aus der alltäglichen „deutschen“ Gegenwart rauszuhalten hat. Leider scheint aber auch die jüdische Gemeinde diesem Ansinnen keinen Widerstand entgegensetzen zu wollen.

Rudolf Herz hat sich in seiner künstlerischen Arbeit von Anfang an mit der problematischen Natur der Bilder der politischen Vergangenheit auseinandergesetzt. Seine „Museumsbilder“ (1983) aus dem KZ-Museum Dachau machen auf die Stellvertreterfunktion der Bilder aufmerksam, indem sie dokumentieren, wie die Besucher immer wieder auf den Fotos versuchen, den KZ-Wärtern und Nazigrößen die Augen auszukratzen. „Lenins Denkmal“ war 1991 seine Reaktion auf den Versuch, der DDR-Vergangenheit durch Denkmal-Entsorgung zu entkommen.

Genau dieses alibihafte Vorgehen macht mißtrauisch. Sind die Bilder wirklich schuld? Die blasierte Miene Duchamps, die in der Serialität der jetzigen Installation zu gewinnen scheint, während Hitlers forcierter Blick immer unerheblicher wird, verweist sie nicht auf die Möglichkeit einer emotional distanzierten Auseinandersetzung mit dem „neuralgischen“ Porträt des Vernichtungspolitikers und tatsächlich einmal vielgeliebten deutschen Führers?

Bis 21.1.1996, Kunstverein Ruhr, Essen. Katalog 10 DM