Die Befreiung von Sarajevo rückt näher

■ In Bosnien werden die Serben überall zurückgedrängt

Die bosnische Armee macht jetzt offensichtlich ernst damit, die militärische Lage um Sarajevo zu klären. Nach Berichten aus unterschiedlichen Quellen werden Truppenkonzentrationen im Raum um die bosnische Hauptstadt beobachtet. Unklar ist allerdings, ob diese Truppen dazu dienen sollen, schon jetzt den Belagerungsring um Sarajevo zu sprengen, oder ob sie lediglich die militärischen Positionen für eine spätere Offensive verbessern sollen.

Ein Unprofor-Sprecher berichtete, es seien massive Truppenverbände nördlich der bosnischen Hauptstadt in der Region um Olovo zusammengezogen worden. Die bosnischen Behörden hätten jedoch UN-Beobachtern verboten, sich dem fraglichen Gebiet zu nähern. Allerdings dementierten Sprecher der Unprofor in Zagreb diese unautorisierten Äußerungen des UN-Sprechers vor Ort.

Aus bosnischen Quellen ist jedoch zu schließen, daß die Armee ihre Truppen im Raum um Sarajevo sehr wohl verstärkt hat. So sind nach Angaben dieser Quellen 15.000 Soldaten in die Region um Visoko und Olovo nordwestlich des Belagerungsrings eingerückt, auch auf dem Berg Igman und dem Treskavica-Massiv, das südlich der Stadt liegt, sind die bosnischen Regierungstruppen verstärkt worden.

In dieser Region ist es der bosnischen Armee Anfang des Monats gelungen, an den Ort Trnovo heranzurücken und eine Straße zu bedrohen, die in das mit Serbien verbündete Montenegro führt. Über diese Straße werden Nachschubgüter für die bosnisch-serbischen Truppen aus Serbien herangeschafft. Würde die Verbindung vollends unterbrochen, wäre dies eine Schwächung für die bosnisch- serbischen Truppen um Sarajevo.

Überhaupt zeichnet sich an fast allen Fronten ein Vormarsch der bosnischen Regierungstruppen und der mit ihnen verbündeten kroatisch-bosnischen Truppen (HVO) ab. Die serbischen Streitkräfte sind im Westen des Landes um die Stadt Livno in Bedrängnis geraten. Trotz eines Großaufgebotes von Kämpfern ist es ihnen in diesem Gebiet östlich ihrer Hochburg Knin nicht gelungen, die Offensive der HVO zu stoppen. Die Straße zwischen Knin und den serbisch besetzten Gebieten Nordbosniens ist von den Kroaten unterbrochen worden. An der gesamten Frontlinie sind die serbischen Streitkräfte auf dem Rückzug, HVO-Soldaten berichten von „Auflösungserscheinungen“ bei den Serben. Ziel der Offensive der HVO ist, Knin vollends von den serbisch besetzen Gebieten in Bosnien abzuschneiden und eine Verbindung zur Enklave Bihać herzustellen. Auch in der ostbosnischen Region Ozren sowie an mehreren Fronten Zentral- und Nordbosniens sind die serbischen Streitkräfte von der bosnischen Armee zurückgedrängt worden. Die Kampfmoral der rund 100.000 serbischen Soldaten scheint nach bosnischen Berichten nicht sehr hoch zu sein. Die serbischen Streitkräfte verfügen jedoch über mehr schwere Waffen und Panzer. Demgegenüber ist die Moral bei den auf über 150.000 Mann geschätzten bosnischen Regierungstruppen und den rund 40.000 Kämpfern der HVO als gut einzuschätzen. Während die Truppen der HVO via Kroatien sogar mit schweren Waffen ausgerüstet werden, stellt der Mangel daran für die bosnischen Regierungstruppen jedoch nach wie vor ein Problem dar. Gegenüber dem Vorjahr verfügen die Regierungstruppen jetzt aber über ausreichend Handfeuerwaffen und Munition sowie über panzerbrechende Abwehrwaffen.

Die Niederlagen der Serben sind vor allem auf die verbesserte militärische Zusammenarbeit zwischen den bosnischen Regierungstruppen und der kroatisch-bosnischen HVO zurückzuführen. Die sich noch 1993/94 bekriegenden Armeen haben seit der Gründung der bosniakisch-kroatischen Föderation im März 1994 ihre Beziehungen verbessert. „Auch wenn die Föderation noch nicht so klappt, wie sie es tun sollte: Zwischen beiden Armeen gibt es inzwischen ein gutes Klima“, bestätigte am Dienstag Ignac Kostmoran, der Oberkommandierende der HVO, gegenüber der taz.

Ihren Teil zu den Erfolgen beigetragen hat auch die Strategie der Armeeführung der bosnischen Regierungstruppen, die seither vor allem an jenen Orten angriffen, wo die Kroaten in Bedrängnis waren. Jetzt scheinen auch die kroatischen Truppen bereit zu sein, die bosnischen Regierungstruppen direkt zu unterstützen. Mit der Taktik, an mehreren Fronten gleichzeitig anzugreifen, werden die serbischen Truppen zersplittert. Im Vorjahr noch waren die Serben in der Lage, die gegnerischen Offensiven mit starken Truppenaufgeboten zu beantworten. Heute scheint dies nicht mehr möglich zu sein, es sei denn, Belgrad würde die serbische Armee noch massiver einsetzen.

Ohne Zweifel setzt Serbien, zunehmend aber auch Kroatien, verstärkt reguläre Truppen ein. An der Front um Livno und Knin stehen reguläre kroatische Soldaten wie auch in der ostbosnischen Region um Orasje. Serbische Truppen und Freiwillige aus Serbien sind sowohl am Brčko-Korridor wie auch in der kroatischen und bosnischen Krajina eingesetzt. Bosnien-Herzegowina entwickelt sich somit wieder zum Schlachtfeld im serbo-kroatischen Konflikt. Erich Rathfelder, Split