■ Vorlesungskritik
: Stellvertreter in eigener Sache

Er habe es satt, sein Geld mit Zeitungsschreiberei zu verdienen, klagte Rolf Hochhuth, als er sich im April beim Berliner Ensemble um die Nachfolge Peter Zadeks bewarb. Nun ist eine weitere Nebentätigkeit hinzugekommen. In diesem Semester hält er eine Vorlesung und ein Seminar an der Universität Potsdam.

„Mir ist ausdrücklich aufgetragen worden, über eigene Stücke zu sprechen“, sagt er in der Vorlesung fast verschämt. Irgendwie ist es ihm aber doch peinlich, und so übt er sich in Literaturgeschichte. Als akademischer Lehrer habe er keinerlei Erfahrung, schickt er voraus. Den Sinn des Wortes „Vorlesung“ hat er offenbar so verstanden, daß er zu einem Band seiner Werke greift und daraus die Rede vorliest, die er zum 200. Todestag Lessings 1981 in Wien gehalten hat.

Hier und dort aktualisiert er sie mit ein paar improvisierten Worten: Was Lessing im 18. Jahrhundert auf die Religion und Hochhuth vor 14 Jahren auf das atomare Wettrüsten bezog, soll heute für die Arbeitslosigkeit gelten. Wie sehr ihm dieses drängendste Gegenwartsproblem nahegeht, läßt sich seinen tieftraurigen Gesichtszügen unschwer entnehmen. Was der Arbeitsminister aber nach seiner Ansicht aus der Ringparabel lernen soll, verrät Hochhuth nicht.

Statt dessen übt er sich in Wortspielen zweifelhafter Qualität. Wie gewohnt, redet er nicht von Hitler und dem Nationalsozialismus, sondern vom „Auschwitzer“ und dem „Hitlerismus“. Die Militärs in Ost und West, sagte er schon in Wien, betrachteten ihre Mitgliedschaft im Roten Kreuz als schwarzen Humor.

Jahr für Jahr, so ein weiteres Bonmot, entfernten wir uns 365 Tage von der Aufklärung. Was er natürlich sehr bedauert, versteht er sich doch selbst als Aufklärer. Das hindert ihn freilich nicht daran, Oswald Spengler als „vielleicht überzeugendsten Geschichtsdenker des Jahrhunderts“ zu bezeichnen. Daß zwischen den Jahren 2000 und 2200 das Zeitalter des „Neunten Kulturkreises“ beginnt, „getragen von den Völkerschaften zwischen Weichsel und Amur“, hält auch Hochuth für wahrscheinlich.

Der Vorlesung des Dichters, der nicht „nur ein Schriftsteller“ sein will, lauschen rund zwanzig Studenten. Zur ersten Seminarsitzung finden sich bloß zehn Interessierte ein. Auch hier windet sich Hochhuth zunächst um die eigenen Dramen herum. Er schlägt vor, nach einer literarischen Vorlage gemeinsam ein Stück zu erarbeiten. Die Novelle, sagt er, sei die epische Schwester des Dramas. Wer läge da näher als Storm, von dem Thomas Mann gesagt habe, „daß er mit dem ,Stellvertreter‘ – äh, ,Schimmelreiter‘ die Novelle auf einen nicht mehr erreichten Gipfel führte“?

Der Versprecher bringt es an den Tag, worauf sich diese Ausflüge in die Literaturgeschichte eigentlich beziehen. Auch Zuckmayers Bedeutung liegt vor allem darin, vor dreißig Jahren in der Zeit den „Stellvertreter“ eines gewissen Rolf Hochhuth verteidigt zu haben. Für diesen ist das natürlich auch deshalb besonders schmeichelhaft, weil Zuckmayer weitere dreißig Jahre früher mit dem „Hauptmann von Köpenick“ Deutschlands „beste Komödie“ geschrieben hatte.

Endlich, nach rund einer Stunde, bemerkt ein Student, in dem als „Werkstattgespräch“ angekündigten Seminar doch eigentlich über Hochhuth reden zu wollen. „Sehr schmeichelhaft, gerne“, hellen sich dessen Züge auf, „es ehrt mich, daß Sie über meine Stücke sprechen möchten.“ Schnell hat sich die Runde auf „Wessis in Weimar“ geeinigt, die erforderlichen Exemplare werden zum Autorenpreis bestellt.

Nachdem das Eis gebrochen ist, wagt jemand vorsichtig die Frage, wie es denn um Hochhuths Bemühungen um das Berliner Ensemble stehe. „Ich habe mir ja eine blutige Nase geholt mit dem Versuch, ein Autorentheater zu machen“, jammert er. Der Prophet, der im Gewand des Studienrats daherkommt, fühlt sich verkannt und damit dem Autor des „Nathan“ im Geiste verwandt: „Lessing zahlte für seine Radikalität einen furchtbaren Preis – er wurde so entsetzlich isoliert, daß er daran starb.“ Ralph Bollmann