Unorte: Architektur Von Claudia Kohlhase

Architekten können ja sein, wie sie wollen, aber müssen sie deswegen gleich bauen? Dochdoch. Vermutlich, weil sie keine Horizontale ungenutzt verstreichen lassen können und speziell in der Vertikale zu Problemlösungen kommen, an die vorher noch kein Mensch gedacht hat, und warum auch. Manche Architekten behaupten dennoch bescheiden, der allgemeine Anblick könne auch ohne sie auskommen. Tatsache aber ist, daß nur durch den Architekten die Welt Struktur wird und wir darin hausen können mit Hinsetzen. Es ist im Grunde ein Wunder von Wirklichkeit, ja von ungemein stattfindender Präsenz.

Leider weiß kein Mensch, woher der Architekt eigentlich seine Chuzpe nimmt oder seine Anregungen, aber er nimmt sie sich. Vielleicht geht der Architekt ja manchmal ins Museum oder hat eine gute Mutter mit einem guten Kunstbuch, da kommen einem oft die tollsten Ideen. Der Architekt ist aber wählerisch und läßt sich noch längst nicht von jedem inspirieren. Nachher unterstellt ihm jemand Eklektizismus, dabei kennt der Architekt so was gar nicht. Weil er aber sowieso an allem schuld ist, enthemmt das auch wieder und läßt den Architekten zur Hochform auflaufen, zum Beispiel wo's grade mal flach sein sollte. Dafür spart er nicht mit Gauben noch mit Loggien, damit wir einen hübschen Austritt haben, egal wohin. Das schafft, zusammen mit den Fensterschießscharten im Treppenhausbereich, in der Stadt sowie im Dorf eine derart verblüffende Wiedererkennbarkeit, daß niemand sich mehr nirgendwo fremd oder allein fühlen muß und überall aufs Klo kann.

Jetzt sind natürlich die Zeiten böse, das hat der Architekt rechtzeitig erkannt und sich Gedanken über Geländerfarbe gemacht. Die kann ja grün sein. Oder blau! Rot!! Ein gewagtes Farbenspiel, aber der Architekt will und muß hier einen persönlichen und das heißt sichtbaren Mutakzent setzen. Sonst liegt der Architekt nachts im Bett und träumt extra grau und ohne Gauben – denn war er nicht der Hoffnungsvollste im Zentralperspektivkurs? War er nicht angetreten, den Raum nicht nur zu gestalten, sondern auch zu ordnen? War er nicht prinzipiell der Idee verpflichtet, auch wo keine nötig gewesen wäre? Setzte er nicht allem noch Krönchen auf statt bloße Dachpfannen?

Ach ja, aber niemand war da, sein Werk zu würdigen, seine Fluchtpunkte, seine Eingangssituationen, seine mitgedachte Duschrinne. Der Architekt erlitt einen kurzen Anfall von Misanthropie, obwohl er doch gerade ein Kindertagesheim entwarf und den Kindern persönlich die Hand gedrückt hatte, um den sozialen Brennpunkt mit einzubauen. Die Handläufe plante er bereits behindertengerecht und multikulturell. Der Anfall ging Gott sei Dank vorüber, denn wenn man sich erst von der Welt und ihrem Beifall abhängig machte, dann wäre man doch nicht der, der man wäre. Und wer würde man dann? Nicht auszudenken, beschloß der Architekt, machte so weiter und erschuf fürs Kindertagesheim noch schnell ein Küppelchen, einfach so. Vielleicht würde er zur Überraschung aller am Ende noch ein wenig Kunst am Bau stiften, vielleicht einen kleinen Kubus oder ein angedeutetes Säulenensemble. Aber jetzt erst mal das Küppelchen, wohin mit dem Küppelchen.