Aufbruch in die Win-win-Welt

Der „Club of Rome“ empfiehlt: Industrienationen müssen den Faktor „Natur“ in ihre Wirtschaftskalkulationen einbeziehen / Sonst droht, natürlich, die Katastrophe  ■ Von Caroline Fetscher

„Oikos“ ist griechisch und heißt „Haus“. In „Ökologie“ wie auch in „Ökonomie“ ist das Wort enthalten. Ersterer geht es um „oikos logos“, die Lehre vom globalen Haus, der Ökonomie aber um „oikos nomoi“, die Gesetze der wirtschaftlichen Haushaltung. Traditionell trennen Welten die beiden Häuser, tragen ihre Hüter verschiedene Schlüsselbunde, verwenden verschiedene Statistiken, Entwürfe, Interpretationen.

Jetzt wünscht sich der „Club of Rome“, das Gremium weiser Warner auf dem Olymp der „Weltproblematik“ (Club-Terminologie) eine völlig neue Architektur, vergleichbar mit einem Pueblo, deren Bauten ineinander übergehen. Programmatisch untertitelt mit „Vom Bruttosozialprodukt zum Ökosozialprodukt“, wartet der neue Report „Mit der Natur rechnen“ auf mit einem Netzwerk von Daten, das der klassischen Volkswirtschaft ihre Hauptfehler vorrechnet.

Denn diese rechnet bislang nur mit zwei Arten von Kapital: „Humankapital“ oder auch menschliche Arbeitskraft, und das vom Menschen geschaffene Kapital. Fleißige Statistiker zeichnen aus den sich daraus ergebenden Angaben jene Kurven, die das „Bruttosozialprodukt“ darstellen. Klettern sie in die Höhe, vermehrt sich, so will es die Lehre, der Wohlstand; dem Götzen „Wachstum“ wird ein Dankgebet gesprochen.

Rechnung ohne den Wirt Erde

Gleichwohl, so der Club, macht die bisherige Volkswirtschaftslehre ihre Rechnung rücksichtslos ohne den Wirt: die Erde und deren knapper werdende Ressourcen. Nicht einbezogen in die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen werden viele Faktoren, die den bergsteigenden Konjunkturkurven einen bremsenden Realitätsschock versetzen können und müssen. Was dabei herauskäme, hieße „Ökosozialprodukt“. Es würde berechnet inklusive des „ökologischen Kapitals“ als drittem und neuem Faktor. Dessen Einzug in die große Kalkulation wäre in der Tat eine wirtschaftswissenschaftliche Revolution.

Während weltweit noch das „Wachstum“ als „Entwicklung“ regiert, erodieren Böden, schnurren Waldflächen zusammen, steht die Ozonschicht unter chemischem Beschuß. Bei alledem waren die armen Länder der Südhemisphäre 1992 mit 1,419 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden belastet (1980 waren es 567 Milliarden).

Auf 330 Seiten argumentieren die knapp zwanzig Club-Autoren – Wissenschaftler, Weltbankexperten und „Worldwatcher“ – für ihre Sicht der Dinge. Um klare Sprache bemüht, dekonstruieren sie das Handwerkszeug der Volkswirtschaftler von John Stuart Mill über Adam Smith und John Maynard Keynes, versuchen deren „Scheinheiligkeit“ zu erklären, die aus einem Mythos der Knappheit den des Wachstums geboren habe, als „Zwangsvorstellung der Moderne“.

Dicke Bündel von Beispielen werden auf den Tisch gepackt, Feuerwerke von Katastrophendaten gezündet. So werden Mexiko, Simbabwe und Indonesien in Plus- und Minusziffern bilanziert – als Länder, für die Verluststudien existieren, während sie offiziell „reicher“ wurden und Wachstum aufwiesen. „Die größte Herausforderung für die Zukunft“ aber, so der Report, „ist es, ,win-win-Lösungen‘ zu finden“, bei denen alle Seiten „und die Umwelt“ einen Gewinn davontragen.

Im Garten der Abstrakta, durch den man in diesem Text wandelt, finden sich solche Disteln wie die „umweltbezogenen Defensivausgaben“ oder „Zahlungsbereitschaftsanalysen“. Und beschwerlich ist es, daß eine Liste der Abkürzungen fehlt – obwohl schon klar wird, daß MEW „Measure of Economic Welfare“ heißt und nicht „Marx Engels Werke“. Aber Schluß mit diesen Einwänden.

Grundsätzlich scheint die Forderung, eine „umweltgerecht angepaßte Nettowertschöpfung“ zu erfassen, sinnvoll und klug. Dennoch, beim Lesen taucht auch ein Zweifel auf, ein grundlegender, den es zu bedenken gilt.

Alles wird warenförmig?

Zwischen heute und den Siebzigern liegt ein Canyon aus Zeit. Unten, auf seinem Grund, lassen sich die bleichen Gebeine verendeter Ideologien, Parolen und Hoffnungen ausmachen. Eine Jeep-Spur fährt geradewegs den Hang zur Jetztzeit hoch – Vierradantrieb. Die Räder heißen vermutlich Girokonto, Designerküche, Fitnessstudio und (immerhin!) Demokratie. Steigen wir aus diesem Jeep und riskieren einen Blick mit dem Fernglas nach drüben: Damals eilte noch, wer politically correct war, in einen der unerläßlichen „Kapital-Kurse“, um Marxens Werk zu studieren. Nach gut hundert Stunden begriff man glücklich Wesentliches: den Kapitalismus und seine „Kapitalverbrechen“ inklusive Entfremdung, Ausbeutung, Verdinglichung, Mehrwert, Zwang zur Profitmaximierung und tendenziellem Fall der Profitrate.

Doch als einflußreichste Hiobsboten meldeten sich 1972 keineswegs linke Systemkritiker. Ein fünf Jahre zuvor gegründeter Club von sechs Weisen aus Westeuropa, darunter der italienische Industrielle Aurelio Peccei, veröffentlichte seinen Bericht zum Zustand der Welt mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“. Das zum „Klassiker“ erklärte Werk warnte vor dem Erschöpfen natürlicher Ressourcen durch industriellen Raubbau.

Ein Jahr vor dem „Club“ hatte sich „Greenpeace“ in Kanada gegründet. Aus „Revolutionieren“ und „Fortschreiten“ wurde „Retten“, „Bewahren“, „Stoppen“. Reaktionäres Vokabular? Well, maybe... Doch allmählich fielen die selbstgestrickten Pullover der Altkleidersammlung zum Opfer, landeten die blauen Bände der MEW beim Uni-Bouquinisten.

Im Osten sah „die Umwelt“ ja auch nicht eben supersauber aus! Irgendwie muß also der Kapitalismus den Dreck, den er gemacht hat, selbst wieder beseitigen. Also: Kapitalismus ja, aber in Grenzen – in den Grenzen des Wachstums. Small wurde beautiful und alles ein wenig unübersichtlich. Den „Blick aufs Ganze“ behielten sich, neben der UNO, selbsternannte Gremien vor, wie jener legendäre auf „Club“ getaufte Weisenrat.

Heute gehören dem „Club of Rome“ hundert „unabhängige Mitglieder“ aus 53 Ländern an. Laut Selbstdarstellung verfolgen die Alarmisten „keinerlei politische Ziele“ und repräsentieren „eine Vielfalt von Kulturen und Ideologien, Berufen und Wirtschaftszweigen“. Es verbinde sie „lediglich die Sorge um die Zukunft der Menschheit“.

Was in den Siebzigern noch wichtigstes politisches Erbe kritischer Wirtschaftsstudien war, das Verstehen der Warenform und ihrer Implikationen, wurde von einer Welle des Realo-Pragmatismus mit weggeschwemmt. So umarmen wir heute als Fortschritt, was uns zu den zwei bestehenden Kapitalformen eine dritte, das „ökologische Kapital“, dazuholt. Daß damit der Warenförmigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse das Wort geredet wird, scheint zunächst sekundär angesichts der drohenden Desaster. Bleibt uns denn etwas anderes übrig? Thomas Kluge, Jurist und Wirtschaftsexperte am „Frankfurter Institut für sozialökologische Forschung“, gibt zu bedenken: „Solange Menschen andere Menschen zur Ware machen, gehen sie auch mit der Natur wie mit einer Ware um.“

Womöglich lohnt es sich jetzt wieder, im neuen Licht Marxsche Ökonomiekritik zu lesen. Notwendig ist der neue „Club of Rome“- Bericht trotzdem, er wird hoffentlich seine Leser unter Politikern und Industriellen finden. Sie hätten allerhand zu gewinnen. Let's hope – it will be win-win.

Wouter van Dieren (Hrsg.): „Mit der Natur rechnen. Der neue Club- of-Rome-Bericht: Vom Bruttosozialprodukt zum Ökosozialprodukt“. Aus dem Englischen von Anja Köhne. Birkhäuser Vlg., Basel 1995, 336 S. DM 29,80