Gib mir das Ohr von Philip Johnson

Der Mann, der Stalin liebte und am Checkpoint Charlie baut, der Architekt Philip Johnson, wurde im März entführt / Bisher ist nur sein Ohr aufgetaucht und ein Fax-Interview mit den Entführern  ■ Von Jochen Becker

In der Nacht vom 14. auf den 15. März wurde der Stararchitekt Philip Johnson entführt. Er stand als meterhohe Werbetafel am Checkpoint Charlie, an dem bald das „American Business Center“ (ABC) gebaut werden soll. Die lokalen Zeitungen und Fernsehstationen stellten wilde Spekulationen an über „die dreisten Diebe – es müssen mehrere gewesen sein, dazu wohl ein Fahrzeug, vermutlich auch eine Hebebühne“. Weiter schrieb der Tagesspiegel: „Stellen sie die Figur zu Hause auf? In einer Wohnung mit vier Meter hohen Decken? Wird sie irgendwann einer Kneipe, einer Galerie oder einer Disco als Wandschmuck dienen? Oder auf dem Flohmarkt auftauchen? Verlangt man Lösegeld?“

Die Boulevardpresse zitierte einen Sprecher der Werbeagentur Ogilvy & Mather: „Wir sind glücklich, daß unsere Idee ankommt – aber gebt uns bitte unseren Johnson zurück!“ Außerdem spielte er sich als Privatdetektiv auf: „Anrufe nimmt Bild entgegen: Telefon 2591-2424.“

Inzwischen berichtete auch die Fachzeitschrift Bauwelt über das abhanden gekommene Wahrzeichen und zitierte ausführlich aus einem aufgetauchten „Bekennerschreiben“ voller Zarathustra-Zitaten, gemünzt auf den Nietzsche- Verehrer Johnson. Eine Woche nach der Entführung erreichte erneut den Tagesspiegel ein erstes Lebenszeichen des Meisterarchitekten: Wie beim Getty-Sohn schickten die Kidnapper das 20 Zentimeter große rechte Ohr, welches sie der Blechfigur mit einer Metallsäge abrangen. Ein Foto der Tat lag ebenfalls bei.

Die Reaktionen sind bis dato unterschiedlich: Die Checkpoint- Charlie-Investorengesellschaft CECD geht von Architekturverehrern aus und möchte das abgesägte Ohr in einer Vitrine ihres zukünftigen Marketingcenters aufstellen. Für Ersatz der Büste des 86jährigen Philip Johnson wurde ebenfalls gesorgt, nun allerdings vom Wachschutz observiert.

Unter dem Originalspruch „Hauptstadt im Bau“, wie ihn die ehemalige Olympia-Werbefirma „Berlin Partners“ überall plakatierte, prangt blutrot das Johnson- Zitat: „I loved Stalin“. In etwas holpriger Übersetzung heißt es weiter: „Der einzige Fehler, der mir unterlief, war zu versuchen zu denken, daß die politische Überzeugung irgend etwas mit der Architektur zu tun hat. Wen interessiert, wer ein Land regiert! Ich liebte Stalin.“

Architektur muß brennen: Fax-Interview mit den Entführern

taz: Warum habt ihr den greisen Johnson als Opfer ausgewählt? Weil er jede erdenkliche Dummheit mitmacht?

Entführer: Er bezeichnet sich selbst als jemanden, der für den Teufel bauen würde. Er hat eine demagogische Gruppierung nach der anderen unterstützt. Er hat Hitler in Danzig besucht, nachdem dieser Polen besetzte, um den Zweiten Weltkrieg anzuzetteln. Du könntest sagen: Die Figur Philip Johnson weist buchstäblich mit dem Finger auf die Dummheit. Er bot sich uns an, wir haben ihn nicht ausgewählt.

Seid ihr drei Männer mit Lkw, Eisensäge und Hebebühne, wie die Berliner Kriminalpolizei, CECD und der „Tagespiegel“ vermuten? Wie soll man euch nennen?

Wir sind das Volk, der Wagen war geliehen.

Was passiert in Berlin, damit ihr zum Mittel der Entführung des Architekten Johnson greifen mußtet?

Friedrich Schinkel hat einmal gesagt: „Wo Neues geschaffen wird, da ist das Leben.“ So wie in Berlin, seit die neue Gründerzeit begonnen hat. Neu schaffen heißt in dem Fall eine vielgestaltige rekonstruktive Kritik an historischen Leitbildern. Diese Leitbilder wurden demontiert und werden jetzt nach radikal subjektiven Gesichtspunkten neu ins Stadtbild integriert.

Da seid ihr der Frage ausgewichen. Begebt ihr euch mit eurer Kritik auf eine Ebene mit der „Kritischen Rekonstruktion“, die sich an das Alte anlehnt und das Neue reinmontiert?

Weißt du, heute müssen wir alles von jedem nehmen. Alles ist irgendwo entliehen. Der eine leiht bei Philip Johnson, der andere beim Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Alle leihen bei Schinkel. Wenn jeder von jedem benutzt wird, gibt es irgendwann die Idee eines originalen Johnson oder Ungers oder Kleihues nicht mehr. Das wäre radikal. Architektur würde dann einer Kategorie angehören, die nicht benennbar ist; das heißt: die nur in der subjektiven Vorstellung existiert.

Jeder klaut bei jedem

Subjektiv hin oder her: Aber wie wirkt sich das auf Gebäude – speziell im Bereich Friedrichstraße – aus? Das ist wohl gar nicht mehr so subjektiv, sondern ziemlich real brutal. Wie sind da eure Erfahrungen?

Es mag brutal sein, aber brutal ist ehrlich. Du kannst das Gebaute als Architektur lesen. In der Monumentalität, in den repetitiven Fassaden und Limitierungen steckt ein Kommentar zu der Entstehungsgeschichte als einer Art Totgeburt. Wenn du den Bereich Friedrichstraße als Projektionsfläche benutzt, zum Beispiel durch kommentierende Plakate, spiegelt das das real Brutale in der Reaktion. Jede reflektive Aktion wird sofort bekämpft. Das zeigt, daß wesentlich aggressiver vorgegangen werden muß, um der totalen subjektiven Vorstellung Raum zu schaffen.

Schneidet ihr jetzt Philip Johnson in echt ein Ohr ab? Oder schüttet ihr Stimmanns Dienst-Mercedes mit Buttersäure zu, oder bewerft ihr ihn selbst mit einem Brandenburger Freilandei?

Die erste Form von Architektur war ja das Feuer, als Schutz. Stein, Glas, Stahl entstehen im Feuer. Die Furcht, Beständigkeit zu verlieren, zeigt sich heute in einer die Schutzfunktion umkehrenden, ausgrenzenden Sicherheitsarchitektur. Es ist notwendig, diese Flamme ans Licht zu bringen in und für die Gemeinschaft. Architektur muß brennen.

Habt ihr zum Schluß noch eine Botschaft?

This is a warning.