Live Voices from Death Row

■ Zeitung von Todesstrafengefangenen berichtet über die Situation in den Todestrakten US-amerikanischer Gefängnisse

„The Endeavor Project – Live Voices from Death Row“ – unter diesem Titel erschien im April 1989 im US-Bundesstaat Texas die erste Ausgabe der einzigen Zeitung von Todesstrafengefangenen in den USA. Inzwischen sind 17 weitere Ausgaben vom Endeavor erschienen, doch an den Ausgangsbedingungen der Zeitungsmacher und dem Ziel ihres Projektes – zur Abschaffung der Todesstrafe beizutragen – hat sich nichts geändert. Nach mehreren Jahren Haft und ständig die drohende Hinrichtung vor Augen, suchten die vier Gründungsmitglieder Gary Graham, Robert West, Larry Robertson und James Bedford gegen Ende der Reagan/Busch-Ära nach einem Weg, die Öffentlichkeit über die Situation in den Todestrakten zu informieren und die Kommunikation unter den Gefangenen in den Todestrakten in Texas zu verbessern. Das Resultat ihrer Überlegung war die Gründung der Zeitung Endeavor.

Lange Zeit wurden die Artikel für den Endeavor von den Gefangenen auf uralten Schreibmaschinen getippt, in den Zellen von Hand layoutet und dann als Briefe an die Lebensgefährtin von Robert West verschickt. Sie brachte die Zeitung auch zum Drucker und verschickte die Auflage von 2.000 Stück an alle Todesstrafengefangenen in Texas und an Angehörige, deren Adressen bekannt waren. Da es zunächst kaum Spenden gab, finanzierte sie auch die Druckkosten.

Das Themenspektrum des Endeavor bietet einen Überblick über sämtliche Facetten des Lebens „on deathh row“, den Wartesälen des Todes, wie die Gefangenen die Todestrakte oft nennen. Neben Berichten von Gefangenen, deren Hinrichtungsbefehl erst wenige Stunden vor der geplanten Hinrichtung vom Richter aufgehoben wurde, finden sich Gedichte, Kurzmeldungen über rassistische Übergriffe von Schließern, Repressalien gegen engagierte Gefangene oder juristische Tips sowie Nachrufe auf hingerichtete Mitgefangene. So unterschiedlich wie die Autoren – die Mehrheit sind African Americans, gefolgt von einigen Hispanics und wenigen Weißen – ist auch der Schreibstil. Doch fast alle Artikel sind von einer Entschlossenheit, ums Überleben zu kämpfen und der Hoffnung auf eine breitere gesamtgesellschaftliche Bewegung gegen die Todesstrafe geprägt. Wie diese Veränderungen aussehen sollen, darüber gibt es unter den Gefangenen lebhafte Diskussionen. Eine wichtige Rubrik der Zeitung ist im übrigen die sogenannte „Pen Pal Bank“, die Brieffreundschaften vermittelt: „Ich suche nach einem ehrlichen Brieffreund, mit dem ich Briefe wechseln kann. Ich bin 19 Jahre alter Todesstrafengefangener. Ich hätte einfach gerne jemanden, mit dem ich meine Gedanken teilen kann“, heißt es in einer der vielen Anzeigen. Für die Mehrheit der Todesstrafengefangenen stellen diese Brieffreundschaften die einzigen Kontakte zur Welt außerhalb des Todestraktes dar. Denn oft hören Angehörige, Freunde und Freundinnen nach einigen nervenaufreibenden Jahren auf, ihre Angehörigen weiter zu besuchen. Die Zeitung wird inzwischen in Todestrakte in den gesamten USA verschickt. „Die Redaktionsgruppe im Todestrakt von Huntsville, Texas, erhält Briefe und Beiträge aus allen Bundesstaaten“, erklärt die Sprecherin des Projektes, Sister Jean Amore vom Franziskanerorden. „Bevor eine Ausgabe der Zeitung zustande kommt, schicken sich die Männer untereinander die Artikel als Briefe, lesen und korrigieren sie, und anschließend werden sie nach draußen geschickt.“ Auf diese Art und Weise ist es möglich, die Knastzensur ohne expliziten Regelbruch zu umgehen. In vielen Knästen wird die Zeitung bei der Postausgabe allerdings über Wochen zurückgehalten.

Sister Jean ist eine von mehreren Außenkontakten der Gefangenen, die das Erscheinen des Endeavor ermöglichen. „Mein Engagement gegen die Todesstrafe begann eigentlich eher zufällig“, erzählt sie. „1985 arbeitete ich in einer Gemeinde in Houston in Texas, als eine Frau mich bat, ihrem Sohn im Gefängnis zu schreiben. Diese Frau war die Mutter von Gary Graham. Wenige Monate nach dem ersten Briefwechsel begann ich, Gary regelmäßig zu besuchen. Als Gary und die anderen drei 1989 das Endeavor Project gründeten, fragten sie mich, ob ich als Schatzmeisterin mitmachen würde.“ Sister Jean ist inzwischen rund um die Uhr mit dem Endeavor Project beschäftigt. „Geld ist natürlich immer ein Problem. Dementsprechend bin ich viel bei Stiftungen und Organisationen, um materielle Unterstützung aufzutreiben. Außerdem arbeiten wir eng mit einem breiten Spektrum von Menschenrechtsgruppen zusammen.“ Aber es sind nicht nur die Schwierigkeiten der Zeitungsherstellung, die die Redakteure „drinnen“ und ihre UnterstützerInnen „draußen“ in Atem halten. „1994 hatte Ann Richards als Gouverneur von Texas dreimal ein Hinrichtungsdatum für Gary Graham festgelegt. Zum Glück ist es uns immer wieder gelungen, vor Gericht einen Aufschub der Hinrichtung durchzusetzen. Das hat natürlich viel Nerven und Arbeit gekostet.“

Jetzt arbeitet Sister Jean zusammen mit Gary Grahams Anwälten daran, ein Wiederaufnahmeverfahren durchzusetzen. Gary Graham wurde 1981 wegen bewaffneten Raubüberfalls mit 18 Jahren zum Tode verurteilt. Obwohl zehn Augenzeugen ausgesagt hatten, daß er nicht der Täter war, reichte es für den Schuldspruch aus, daß ein elfter Zeuge meinte, ihn als Täter identifizieren zu können. Sein Pflichtverteidiger machte sich nicht einmal die Mühe, Garys Alibizeugen zur Verhandlung vorladen zu lassen. Mehrheitlich weiße Geschworenenjurys und weiße Richter haben in derartigen Fällen immer weniger Skrupel, den nächstbesten schwarzen Jugendlichen zum Tode zu verurteilen. Durch den Endeavor und der damit verbundenen Hoffnung, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, versuchen Gary Graham und andere Todesstrafengefangene, der ständig wachsenden Maschinerie des Todes Einhalt zu gebieten. Heike Kleffner

Kontaktadressen: The Endeavor Project, P. O. Box 23511, Houston, Texas 77228-3511

In der BRD ist der „Endeavor“ erhältlich über: Christa & Hermann Gill, Herrenhuter Haus, 78126 Königsfeld. Ein Jahresabo kostet 15 US-Dollar.