Bankrotteure als Lehrmeister der Partei

Eine zwangseremitierte Intellektuellenriege dient sich der PDS als wissenschaftlicher Rat an  ■ Von Christoph Seils

„Ich will weiterhin das Kommunistische Manifest zitieren dürfen, ohne mich schämen zu müssen.“ Solch demonstrativer Bekenntnisse zu den „Traditionen einer großen historischen Bewegung“ wegen war die Mehrzahl der über 700 Mitglieder und Sympathisanten der PDS am Montag abend in die Ostberliner Trabantenstadt Hohenschönhausen gekommen.

Der überfüllte Saal tobte, wann immer ein Redner die „kapitalistischen Verhältnisse“ brandmarkte oder das „Analysewissen des großen Philosophen Karl Marx“ pries. Daß die sozialen Errungenschaften in der DDR etwas mit der Mauer und der Stasi zu tun gehabt haben könnten, mochte niemand hören, und so wurde der Sprecher der PDS Sachsen-Anhalt, Thomas Drzisga, gnadenlos ausgebuht.

Die Altvorderen waren gekommen, um über den Aufruf „In großer Sorge“ zu diskutieren. Das Pamphlet war vor einigen Tagen von 38 altgedienten marxistsich-leninistischen Professoren und Intellektuellen herausgegeben worden. Die alten Herren beklagen darin den Anpassungskurs, den die Partei derzeit nimmt. „Ja, wir sind in großer Sorge um den geistig-moralischen Zustand der PDS“, klagte gleich zu Beginn des Abends der DDR-Historiker und Bismarck- Biograph Ernst Engelberg. Und weil im Vorfeld dieser Veranstaltung soviel von einer Zerreißprobe für die PDS gesprochen wurde, vergaß niemand zu beteuern, daß man keine andere Partei und erst Recht keine SED wolle, sondern natürlich nur das Beste für die PDS.

Doch hinter den mit Verve vorgetragenen Gesellschaftsentwürfen, hinter all den Bekenntnissen zum Sozialismus, zur DDR oder zum historischen Vermächtnis kamen immer wieder auch ganz materielle Sorgen zu Vorschein. „Man läßt uns nicht in die offiziellen Wissenschaftsstrukturen hinein“, empörte sich etwa der an der Leipziger Universität abgewickelte Professor Ernstgert Kalbe, und auch die PDS nutze „unser intellektuelles Potential“ nicht.

Die Angst treibt die ausrangierten Claqueure des realen Sozialismus um, jetzt auch von der PDS nicht mehr ernst genommen und politisch nicht mehr vertreten zu werden. Dabei beklagen viele von ihnen die wegen „Staatsnähe“ gekürzten Renten, fürchten um ihre Datschen, und selbst ihrer akademischen Titel sind sie nicht mehr sicher.

Von Hans Modrow war am Montag abend nur am Rande die Rede, etwa von seiner Mahnung, wer auf die Unterzeichner des Aufrufes draufhaue, der treffe die halbe Partei. Aber die Art, wie der letzte Ministerpräsident der DDR vom Berliner Landesverband vor der Landeswahl abserviert wurde, hat der alten Garde gezeigt, daß eine erneuerte PDS andere Prioritäten setzt als eine Interessenvertretung für ehemalige DDR- Staatsbedienstete.

Parteivize Wolfgang Gehrcke hatte mit seinem Plädoyer für eine linke Reformmehrheit einen schweren Stand. Für „gesellschaftliche Veränderungen“, so Gehrke, gäbe es nur gemeinsam mit Sozialdemokraten und Grünen eine Chance. Doch der etwas hilflos vorgetragene Versuch, dem rot- grünen Zug hinterherzulaufen, kam bei den meisten Genossen nicht an. „Managergerede“ mußte sich Gehrcke vorwerfen lassen, „Subjektivismus“, „Voluntarismus“ und einen „schludrigen Umgang mit gesellschaftlichen Widersprüchen“. „Das passiert“, so wurde er belehrt, „wenn man statt bei Marx beim Sandmännchen Rat holt.“

Statt Sand möchten die altgewordenen Intellektuellen dem Parteivorstand in Zukunft vermehrt ihr geballtes Wissen in die Augen streuen. Dem Trouble-Maker, dem PDS-Bundestagsabgeordneten Uwe-Jens Heuer, blieb es vorbehalten, den Anwesenden zu verkünden, wie der geistig-politische Zustand der PDS zu verbessern sei. Ein „marxistisches Forum“ will er gemeinsam mit den Unterzeichnern seines Aufrufes gründen. Nicht eine Plattform, die in der Partei um Mehrheiten wirbt, soll es werden, sondern ein innerparteilicher Brain-Trust, welcher der PDS jederzeit mit „wissenschaftlichem Rat“ zur Seite stehen könne.

Ein Projekt, gegenüber dem Wolfgang Gehrcke zu mehr Gelassenheit rät, zumal es sich doch nur um eine Randerscheinung in der Partei handle. Jeder habe das Recht, innerhalb der PDS um die ideologische Vorherrschaft zu kämpfen, trotzdem seien die Reformer „eindeutig die Mehrheit“. Doch das könnte sich ändern, wenn die PDS auch im Osten keine Wahlerfolge mehr vorzuweisen hat, denn das Verlangen nach ideologischen Bekenntnissen ist unter ihren Mitgliedern beileibe keine Randerscheinung. Wenn sich Niederlage an Niederlage reihe, so gab eine Genossin gegen Ende der dreistündigen Diskussion unter lautstarker Zustimmung zum besten, dann gäbe es nur eins: „Durchhalten mit Marx!“