Eine stabil flache Nachrichtenlandschaft

■ Von 700 in Deutschland akkreditierten Auslandskorrespondenten arbeitet ein Drittel in Berlin / Für die einen ist die Hauptstadt eine wichtige Brücke nach Osten, andere bereuen ihren schnellen...

Nur der Wiederaufbau der Mauer könnte ein ähnliches Interesse der Weltöffentlichkeit hervorrufen wie ihr Fall. Kamerateams und Auslandskorrespondenten aus aller Welt waren im November 1989 versammelt, um das Ereignis live in die Wohnzimmer zu übertragen. Fünf Jahre später sind die in Berlin ansässigen Auslandskorrespondenten uneinig darüber, ob es aus der „normal“ gewordenen Stadt noch Interessantes zu berichten gibt. Die einen sehen Berlin als „Brücke zum Osten“ und Brennpunkt Europas, für die anderen gleicht die Stadt nur noch einer „Pflanze im Winter“, die auf ihre Blüte hofft.

Von den rund 700 in der Bundesrepublik akkreditierten Auslandskorrespondenten ist immerhin ein gutes Drittel in Berlin ansässig. Nur in Bonn ist es ein gutes Dutzend mehr. Korrespondenten aus 43 Ländern sind im „Verein der Ausländischen Presse zu Berlin“ organisiert, dies ist die höchste Mitgliederzahl in seiner fast 90jährigen Geschichte. „Der VAP bietet Pressekonferenzen und Veranstaltungen an“, beschreibt eine Mitarbeiterin die Arbeit des Vereins. Alle zwei Wochen treffen sich die Mitglieder zum Stammtisch.

Das dort am häufigsten diskutierte Thema ist gerade unter den von Bonn nach Berlin gewechselten Auslandskorrespondenten der Regierungsumzug. Da sich dieser aber hinauszögert und Berlin weder Mauer noch Kalten Krieg zu bieten hat, bereuen einige den schnellen Wechsel an die Spree. „Diese Stadt hat zwar eine einzigartige Atmosphäre, aber als Nachrichtenzentrum ist sie langweilig geworden“, meint William Waack, Chefkorrespondent eines großen brasilianischen Nachrichtenmagazins. John Holland, seit 1989 Berliner Korrespondent der US-amerikanischen Radiostation CBS, attestiert der Stadt eine „stabil flache Nachrichtenlandschaft“.

Positiver Standortfaktor Berlins ist allerdings die Verbindung zum Osten. Wegen der schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen vor Ort berichten viele Korrespondenten von Berlin aus auch über Ereignisse in Rußland oder Polen. „Den größten Teil meiner Arbeitszeit verbringe ich außerhalb Deutschlands“, so John Holland.

Doch nicht nur Auslandsreisen, auch Reisen innerhalb des Landes gehören zum Alltag eines Korrespondenten. „In einem föderalistisch verwalteten Land wie Deutschland muß man am Ort des Geschehens anwesend sein“, so die Französin Pascale Hugues, bis vor kurzem Korrespondentin der linksliberalen Tageszeitung Libération, jetzt freie Journalistin. Für Gespräche mit Politikern muß die Polin Weronika Kostyrko, Korrespondentin der Warschauer Tageszeitung Gazeta Wyborcza, häufig ihren Arbeitsplatz in Berlin verlassen.

Dieser Arbeitsplatz ist für die meisten Korrespondenten ihre Wohnung. Ein Büro ist ein Luxus, den sich vor allem große Zeitungen leisten, die mit mehreren Korrespondenten in Berlin vertreten sind. Einige amerikanische Zeitungen, so die Washington Post und die Los Angeles Times, haben sich mit der Wende für den Standort Berlin entschieden und 1990 gemeinsam ein Haus bezogen. Für kleinere Zeitungen war die Entscheidung gegen Bonn und für Berlin nicht so eindeutig. Der Italiener Orlando Alessandro, der an der Freien Universität studierte und 1992 als freier Journalist nach Berlin zurückkehrte, meint dazu: „Berlin ist ganz klar die interessantere Stadt. In letzter Zeit sind Themen wie Obdachlosigkeit und Armut für das Ausland interessant, und die gibt es nun einmal nicht im kleinen Städtchen Bonn!“

Mit besonderer Aufmerksamkeit wird im Ausland noch immer das Bild des Deutschen verfolgt, der als Neonazi Ausländer verprügelt. Allzuschnell landet die Suche nach dem Typischen bei Stereotypen. Die Polin Weronika Kostyrko fragt sich, ob sie das Bild der neuen deutschen Rechten übertrieben gezeichnet habe. Polnische Freunde seien auf sie zugekommen und hätten sich gefreut, sie wohlbehalten wiederzusehen: „Daß dir noch nichts passiert ist, in Deutschland brennt doch alles.“

Doch nicht nur solche Vorbehalte gegen den „deutschen Alltag“ beschäftigen die Leser, sie interessiert auch der Alltag ihrer Korrespondenten. Etwas ratlos steht die Dänin Ingerlise Andersen, die seit elf Jahren in Berlin als freie Journalistin arbeitet, der Resonanz ihrer dänischen Leser gegenüber. Nach jahrelanger seriöser politischer Berichterstattung hätte sie endlich einmal begeisterte Reaktionen erfahren – auf eine kleine Geschichte über ihren Hund! Claudia Cieslak/Inken Schröder