Kannibalisierte Bundesbahn

„Schönes-Wochenende-Ticket“ der Bahn wird jetzt doppelt so teuer / Schweizer Strategie: Attraktive Jahreskarten statt billiger Einmal-Angebote  ■ Von Felix Berth

München (taz) Die letzten Wochenenden, so scheint's, haben den Beweis erbracht: Die Bahn muß nur billig genug sein, und schon wird sie von Millionen Fahrgästen genutzt. Viele Nahverkehrszüge waren dank der 15-Mark-Tickets brechend voll, und Bahnhöfe, an denen sonst samstags vielleicht mal zwanzig Fahrgäste ankamen, wirkten plötzlich wie Publikumsmagneten. Die Bahnbeamten schienen sogar ein bißchen vom Erfolg überrascht: „2,3 Millionen verkaufte Schönes-Wochenende-Tickets in drei Monaten“, bilanziert der Bundesbahn-Sprecher Hartmut Sommer – und freut sich, weil die Arbeit der Bundesbahn AG endlich anerkannt wird.

Doch Zweifel an der Billig-Strategie sind angebracht. Denn immer mehr Verkehrsexperten, die seit Jahren einen leistungsstarken öffentlichen Verkehr fordern, sehen das „Schönes-Wochenende-Ticket“ mit Skepsis: Die 15 Mark für fünf Fahrgäste seien ein „Schleuderpreis“, findet zum Beispiel Heiner Monheim, Professor an der Uni Trier. „Ramsch-Strategie“, ärgert sich auch Werner Brög vom Institut Socialdata.

Ein erster kniffliger Punkt sind die Kosten des neuen Angebots. Wieviel die Bahn dabei in Wirklichkeit draufzahlt, gibt die Frankfurter DB-Zentrale vorsichtshalber nicht bekannt, doch es dürfte auf jeden Fall ein zweistelliger Millionenbetrag sein. Bahn-Sprecher Sommer listet jedenfalls schon mal auf, daß erheblicher zusätzlicher Aufwand nötig war: Seit März werden die Züge verlängert, was neben dem Material- vor allem Personalaufwand bedeutet: Mehr Reinigungstrupps, mehr Schaffner, mehr Rangierfahrten. Wieviel das genau sei, meint Sprecher Schöne, werde erst noch berechnet.

Teuer kommt daneben vor allem der „Kannibalisierungseffekt“, wie der hübsche Fachbegriff lautet: Fahrgäste, die bisher auch schon mit der Bahn unterwegs waren und normal teure Tickets gekauft haben, greifen nun natürlich zum Billig-Angebot. Die Einnahmeverluste durch diese „Kannibalisierung“ lassen sich schon mal ganz grob abschätzen: Vor Einführung des „Schönes-Wochenende- Tickets“ waren die Nahverkehrszüge laut Angabe der Bahn etwa zu zehn Prozent ausgelastet, danach stieg die Auslastung auf 35 Prozent. Das bedeutet in einem etwas vereinfachten Rechenbeispiel: Ein Zug, in dem vorher 100 Menschen mit normalen Tickets für durchschnittlich 25 Mark saßen, hat damals also 2.500 Mark hereingefahren. Das neue Angebot lockt nun 350 Fahrgäste, die sich im Schnitt jeweils zu dritt ein „Schönes-Wochenende-Ticket“ teilen. Sie kaufen der Bahn also 115 Tickets ab und zahlen dafür den Billig- Tarif von je 15 Mark, insgesamt also 1.700 Mark. Ergibt für diesen Beispiel-Zug einen Verlust von 800 Mark – pro Billig- Ticket sind das knapp sieben Mark. Auf die gesamte Republik hochgerechnet bedeutet das, daß die Bahn in nur drei Monaten gut 15 Millionen Mark Einnahmen verloren haben dürfte.

Und nicht nur Einnahmen durch das Wochenendticket gehen verloren, auch Kunden, argumentiert Werner Brög von Socialdata: „In Buchloe in Bayern gab's neulich sowas wie einen Sitzstreik am Bahnsteig: Etliche Fahrgäste, die an einem Samstag zur Arbeit oder zum Flughafen mußten, blockierten einen Zug, weil der Schaffner sie wegen Überfüllung nicht mitnehmen wollte.“ Auf solche Kunden würde bei der Aktion viel zuwenig geachtet, kritisiert Brög: „Ein ständiger Fehler der Bahn: Immer wird geschaut, wo man Fahrgäste gewinnen kann – und nie, wo man auch welche verlieren kann.“ Die Schweizer Bundesbahn (SBB) hat mit Billig-Tarifen ähnlich schlechte Erfahrungen gemacht und ist deshalb äußerst skeptisch: „Jede der Billig-Aktionen hat gezeigt, daß viel Normalverkehr kannibalisiert wird“, sagt Hans-Jörg Rhyn von der SBB. Wenn schon ein Schnupper-Angebot, dann teurer und unbedingt zeitlich begrenzt, meint der Tarifexperte. Und deshalb gelte die vergleichbare SBB-Aktion „Maibummel“ nur an wenigen Wochendenden im Frühjahr. Auch der Preis, mit dem Fahrgäste in die Schweizer Bahn gelockt werden sollen, liege über den DB-Dumpingtarifen: 10 Franken für einen Fahrgast statt 15 Mark für fünf.

Während der elf Monate des Jahres, in denen der „Maibummel“ ausgesetzt wird, setzt die SBB stärker auf den Verkauf von Jahreskarten, den „Generalabonnements“. Für 2.600 Franken fährt man das ganze Jahr auf dem hervorragenden Netz von SBB und den Schweizer Städten; die zweite Jahreskarte für Ehepartner oder Lebensgefährten (egal ob hetero oder schwul) kostet nur etwa die Hälfte. „Das ist ein wirklicher Anreiz, auf ein Auto zu verzichten“, meint Winfried Wolf, PDS-Verkehrsexperte im Bundestag. „Denn damit kann sich eine Familie ausrechnen: Mit dem Ticket sind wir das ganze Jahr mobil.“

Die Deutsche Bundesbahn hat inzwischen auch erkannt, daß Billig-Tickets ihre Tücken haben. Nun wird also versucht, das „Schönes-Wochenende-Ticket“ ein wenig teurer zu machen. Doch weil eine simple Preiserhöhung garantiert viele Fahrgäste verärgert hätte, wird ab morgen zwar der Preis verdoppelt, doch gleichzeitig das Angebot erweitert: Das Billig- Ticket gilt nun auch in den Verkehrsverbünden.

Kostendeckend wird das „Schöne-Wochenende“ dadurch wohl nicht. Aber vielleicht sind die aktuellen Kosten der Deutschen Bahn AG gar nicht so wichtig. Winfried Wolf verweist auf die bevorstehende Regionalisierung der Bahn: Ab 1996 müssen alle Bundesländer die Nahverkehrszüge bei der DB AG bestellen. „Dann müssen die Länder sehen, wie sie mit den jetzt geschaffenen hohen Erwartungen zurechtkommen.“ Er vermutet deshalb, daß sich viele Länder nicht trauen werden, die Billig-Angebote zurückzunehmen. Und dadurch hätte sich die Bahn ganz bequem eine Menge Aufträge gesichert.