Politische Bankrotterklärung

■ betr.: „Offener Brief der Personal vertretung der Deutschen Luft hansa an Günter Wallraff“, taz vom 17. 7. 95

Offener Brief an die Deutsche Lufthansa AG, Personalvertretung, Frankfurt am Main

[...] Diese Erklärung ist ein Skandal. Das betrifft die hämischen Formulierungen und Unterstellungen gegen die Initiatoren des Boykottaufrufs und Ihre Motive, die Verwendung von Behauptungen, die Presseberichten zufolge falsch sind, nicht zuletzt die Art und Weise, wie Sie die Gefahr dramatisieren. [...] Und dann das perfide Argument mit den Arbeitsplätzen. Sie verwechseln Ursache und Wirkung. Der Boykottaufruf zielt nicht auf die Vernichtung Ihrer Arbeitsplätze, sondern darauf, durch politischen und ökonomischen Druck Ihr Management zur Einsicht zu bringen, weil das die einzige Sprache ist, die diese Herren verstehen, das müßten Sie als ArbeitnehmervertreterInnen doch eigentlich wissen. Darüber hinaus ist der Tenor Ihrer Argumentation zu dieser Frage ja eindeutig und entlarvend zugleich: Was interessieren uns Menschenrechte, Hauptsache, unsere Arbeitsplätze sind gesichert. Und das, obwohl es in Ihrem Fall nicht einmal schwierig wäre, beides miteinander zu verbinden. Ich frage mich, was würden Sie in einem wirklichen Interessenkonflikt tun?

Wir haben gerade den 50. Jahrestag der Befreiung von der NS- Diktatur begangen. Diese kam an die Macht und hat zwölf Jahre lang mörderisch gut funktioniert, weil es in Deutschland zu wenige Leute gab, die sich für die Menschenrechte anderer einsetzten. Genau diese Perspektive des eigenen Tellerrandes und das bereits vorbeugende Zurückschrecken vor Gewaltandrohung hatte die bekannten fatalen Konsequenzen.

Damals wie heute gilt, wenn von Anfang an viele Zivilcourage zeigen, braucht es später nicht den Heldenmut der wenigen. Haben Sie darüber nachgedacht, wohin Ihre Haltung in der Konsequenz führt? Was ist, wenn islamistische Gruppen von Ihnen verlangen, keine jüdischen Passagiere mehr zu befördern, und andernfalls mit Anschlägen drohen? Oder Neonazis fordern, daß die Deutsche Lufthansa deutschen Passagieren vorbehalten bleiben muß? Dagegen würden Sie sich vermutlich wehren, weil dann Ihre Arbeitsplätze wirklich massiv bedroht wären.

Ihr offener Brief ist eine politische Bankrotterklärung sondergleichen, die ich von einer Arbeitnehmervertretung nicht erwartet hätte. Ich hoffe, daß wenigstens Ihre Gewerkschaften Ihnen politischen Nachhilfeunterricht erteilen. Ich verzichte jedenfalls in Zukunft gern auf Ihren Service und hoffe, daß es mir viele Menschen gleichtun. [...] Michael Schmidt, Berlin

[...] Rein rhetorisch hat's ja gut angefangen. Da wird Rushdies mutiger Einsatz, einem „Regime zu trotzen“, durchaus gelobt und selbst Günter Wallraff bescheinigt, er habe sich stets gegen das Unrecht unserer Gesellschaft engagiert. Das war's dann aber auch schon mit den Alibi-Zuckerln.

Die Eskalation in Richtung Schmutzkübel-Propaganda geht von jetzt an so linear himmelwärts vonstatten wie der Abflug einer Lufthansa-Boeing. Vom höflichen „vielleicht unüberlegt und voreilig“ bis zum kecken „Sucht nach Aufmerksamkeit“, dann vom trotzig-beleidigten „Vergeben Sie uns bitte: Wir sind nicht alle zu Märtyrern geboren“ bis zum Schlag unter die Gürtellinie „Wie müssen Menschen beschaffen sein ...“, die so schweinisch sind wie „Herr Wallraff und die 200 Erstunterzeichner“ – eine Bezeichnung, die exakt so ganze fünfmal im Brief auftaucht. Es klingt in seiner Stereotypie schon fast wie „Ali Baba und die 40 Räuber“, auch als Bandname bestimmt ganz lustig.

Indes muß Wallraff ganze 13mal als Zielscheibe, pardon: Anredeperson, herhalten. Schließlich kann das fliegende Personal sowohl Heldenmut als auch „Heldenmut“ (in hämischen Anführungsstrichen) auf den „Herrn“ projizieren nach dem Motto: „Nur weil Sie ein Märtyrer sind, müssen wir es noch lang nicht sein. Und überhaupt: Sie sind ja gar keiner.“ Der Unrechtskämpfer aus dem fünften Absatz wird nämlich noch geoutet: Eigentlich geht es Wallraff ja nur darum, seine „Sucht nach Aufmerksamkeit“ zu befriedigen, sich im „verbalen Kampf“ „außerhalb jeglicher Gefahrenzone“ (= außerhalb einer Lufthansamaschine? u.U. mit Schmidbauer-Plutonium an Bord?) „irgendein großes (mit kleinem „g“) Verdienstkreuz anzuheften“.

Das alles strotzt von einer derartigen Bigotterie, daß ich mich der Kampagne schon allein dieses Briefes wegen anschließen muß. Ecco Meineke, Kabarettist,

München

[...] Nur öffentliche Diskussion scheint mir im Fall Lufthansa zur Besinnung und Verhaltensänderung zu führen, da politischer Druck der Bundesregierung nicht sichtbar ist. Ob dies Absicht der unterzeichnenden FunktionärInnen ist, bleibt zweifelhaft.

[...] Ohne Besinnung von Personalvertretung und Management könnte die Lufthansa im dynamischen Luftfahrgeschäft verschimmeln. Bei dieser erstaunlich ähnlichen Geisteshaltung teilt sich Frau Schimmel ja vielleicht ihren Friedenspreis mit den AutorInnen des offenen Briefes, und das Image der Lufthansa gerät wieder in die rechten Bahnen. Rolf Scheyer,

Bergisch-Gladbach