Der unbequeme Weg aus dem Verborgenen

■ Gesichter der Großstadt: Sibyll Klotz / Die Ostberlinerin ist sich nicht sicher, ob sie für ihre Ansprüche selbstbewußt genug ist

Wenn Sibyll-Anka Klotz redet, nimmt sie gerne ihre Hände zu Hilfe. Die frisch gekürte Spitzenkandidatin der Berliner Bündnisgrünen für die Wahl zum Abgeordnetenhaus ist auch daran gewöhnt, sich selbst zu helfen. Im Privatleben und im Beruf.

„Die Frauen aus dem Osten haben zu wenig Selbstbewußtsein“, sagt die Frauenpolitikerin. Offen bleibt, ob sie damit auch sich selbst meint. Denn die 34jährige kommt aus Ostberlin, und ihre Überraschung angesichts der Wahl auf Listenplatz 1 wirkt echt.

Nach einem Philosophiestudium hat Sibyll Klotz an der Humboldt-Universität ihren Doktor gemacht und Medizinstudenten in „marxistisch-leninistischer Philosophie, so hieß das Fach früher“, unterrichtet. Bis 1989 war sie SED- Mitglied: „Ich wollte einen besseren Sozialismus und dachte, daß ich das als Parteimitglied eher durchsetzen kann. Ich hatte die Hoffnung, daß sich mit Glasnost und Perestroika auch in der DDR etwas verändert.“ Eigentlich wollte sie nicht erst 1989, sondern ein Jahr früher austreten, „denn spätestens dann war klar, daß die Hoffnung vergeblich war“. Aus Bequemlichkeit und Opportunismus habe sie es aber gelassen.

Nach der Wende habe sie sich nach einer Gruppierung umgesehen, mit der sie ihren feministischen und politischen Anspruch durchsetzen konnte. Damals gründete sich der Unabhängige Frauenverband (UFV), der schien ihr vielversprechend. „Wenn sich eine linke Partei neu gegründet hätte, wäre ich da eingetreten.“ Aber die PDS war und ist für sie nur die umbenannte SED. Daß der UFV sich mit Bündnis 90 und den Grünen zusammenschließen würde, war damals noch nicht abzusehen. „Ich habe den UFV nicht mit der Absicht gegründet, ein Mandat abzugreifen“, sagt sie. Vielmehr sei sie der Meinung gewesen, daß sie als ehemaliges SED-Mitglied Zeit zum Nachdenken bräuchte. Trotzdem kandidierte sie 1990 für den UFV und schaffte den Sprung ins Parlament.

Im Abgeordnetenhaus gehört Klotz dem Frauen- und Arbeitsausschuß an. Sensibel für Frauenthemen ist sie durch ihre Doktorarbeit zu August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ geworden. „Ich habe immer erlebt, daß die Herren der Schöpfung so wichtig und selbstbewußt taten. Da habe ich versucht, die Frauen zu fördern.“ Das macht sie bis heute. Sibyll Klotz ist eine selbstbewußte Frau. Doch mit „Stirnbandfeministinnen, die einem gleich eine auf die Nase boxen“, hat sie wenig gemeinsam. Höchste Achtung empfindet Sibyll Klotz dagegen – über Parteigrenzen hinweg – zum Beispiel für Berlins ehemalige Justizsenatorin Jutta Limbach. „Sie hat trotz ihres hohen Postens als Verfassungsgerichtspräsidentin den frauenpolitischen Anspruch nicht aus den Augen verloren.“ Und selbst die Christdemokratin Hanna-Renate Laurien, Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, macht auf die bündnisgrüne Spitzenkandidatin Eindruck: „Laurien ist eine integere und verläßliche Person, eine tolle Frau mit Witz und Charme.“

Als Abgeordnete im neuen Abgeordnetenhaus will Klotz im Herbst ihren Arbeitsschwerpunkt verlagern, etwas weg von der reinen Frauenpolitik hin zu den „harten Politikfeldern“, Wirtschaftspolitik etwa. Dort locken nicht nur mehr Bedeutung, sondern auch „mehr Gestaltungsmöglichkeiten“. „Als Frauenpolitikerin kannst du keine Karriere machen“, sagt Sibyll Klotz. „Die hohe Arbeitslosigkeit spiegelt sich bislang kaum in der Berliner Wirtschaftspolitik wieder“, klagt die Ostberlinerin. Ihrer Meinung nach müsse man „den Fadene am Ende aufdröseln“. „Wir brauchen Mechanismen in der Wirtschaft, die verhindern, daß das Geld geschlechtsspezifisch verteilt wird“, erklärt Sibyll Klotz.

Trotz engagierter Zukunftspläne scheint die neue Spitzenkandidatin noch unsicher, ob sie selbstbewußt genug für ihre eigenen Ansprüche ist. Nicht immer schafft sie es, im Rampenlicht zu stehen und mit der Publicity umzugehen. Der Weg einer Oppositionspolitikerin, das hat sie erkannt, verläuft hauptsächlich im Verborgenen, und das ist ihr meistens auch ganz recht.

Ihr Weg bis zum Oktober wird dagegen noch durch manches Rampenlicht führen. Bedauerte sie schon zu einfachen Abgeordnetenzeiten die wenige Zeit für ihre Tochter („In der Fraktion fragt niemand, ob man damit zurechtkommt.“), wird es künftig noch schwerer werden, Privat- und Politikerinnenleben zu vereinen. Was sie bei der KandidatInnenbefragung im Moabiter Straßenbahndepot noch scherzhaft formulierte, kann jetzt schnell Realität werden: „Meine Nebenbeschäftigung ist elf Jahre alt und geht in die vierte Klasse.“ Wenn es gar nicht anders geht, dann wird Sibyll Klotz vermutlich – wie schon früher – ihre Tochter mit zur Arbeit bringen. „Dann bekommt sie eben einen Stapel zu kopieren in die Hand.“ Stefanie Ehnes/Falk Zielke