Schiller, Wilhelm Tell und so weiter

■ Ob Hochhuths Stiftung das Berliner Ensemble erwerben kann, ist völlig ungeklärt

Mahnen, drohen, stellvertreten: Der Dramatiker Rolf Hochhuth, dieser Tage Stadtgespräch wegen des Versuchs einer handstreichartigen Übernahme des Berliner Ensembles, hat sich in einem weiteren publizistischen Donnerschlag flugs an die Seite Schillers, des antifaschistischen Widerstands und des aufrichtigen Subjekts schlechthin plaziert. Zum 9. Mai würdigte er im Berliner Tagesspiegel das von Hitler persönlich verbotene Drama „Wilhelm Tell“. „Der Auschwitzer“, wie Hochhuth Hitler zu nennen beliebt, habe das Stück verboten, weil es ihn an Maurice Bavaud erinnert habe, den jungen Schweizer, der 1941 wegen mehrfacher Attentate auf Hitler in Plötzensee enthauptet worden war. Wenn vom Haß auf den Einzelkämpfer und den potentiellen Tell-Nachkommen die Rede ist, liest man zwischen den Zeilen, wie Hochhuth selbst dieser Tage gesehen zu sehen werden wünscht. BE-Intendant Heiner Müller hingegen, von den Übernahmeplänen des Hochhuth einigermaßen überrascht, läßt keine Zweifel an seiner Skepsis gegenüber diesem „Schiller unserer Epoche“, den vor allem das Journalistische interessiere: „Ich glaube nicht an die Aktualität auf der Bühne“, sagte Müller. „Das können andere Medien besser.“

Hochhuth hatte sich, wie berichtet (taz vom 3.5.), bei den Alteigentümern, der Erbengemeinschaft des Kaufhauses Saloschin und dem Maschinenschlosser Klaus Wertheim, für eine Million Mark ein Vorkaufsrecht am Berliner Ensemble erworben. Wertheims Anwalt Klaus Gebhardt bestätigte, was bislang etwas unklar erschien: daß es nämlich in der Tat Verträge zwischen den Alteigentümern und Hochhuth gibt. Sein Mandant habe mit Rolf Hochhuth vereinbart, seine Ansprüche zurückzunehmen. Die Erbengemeinschaft Saloschin wiederum habe mit Wertheim einen Zustiftungsvertrag abgeschlossen. Der Kauferlös des Theaters soll nun zu 71 Prozent an Saloschin und zu 29 Prozent an Klaus Wertheim gehen. In einem Restitutionsverfahren sollen diese Verträge noch geprüft werden. Für ihn, Gebhardt, sei jetzt die entscheidende Frage: „Wie binden wir Hochhuth ein?“

Das mag die komplizierteste, aber mit Sicherheit nicht die einzige Frage sein, die noch ungeklärt ist. Wie Senatssprecher Rainer Klemke mitteilte, seien bei der Berliner Finanzverwaltung noch weitere neun (!) Ansprüche auf das Berliner Ensemble angemeldet. Darunter könnten auch solche der Jewish Claims Conference sein, die geltend macht, daß die Eigentümer, denen das Grundstück vor 1933 gehört habe, durch einen Zwangskonkurs quasi enteignet worden seien. Ihre Ansprüche seien anschließend von der Reichsbank aufgekauft worden. Handelt es sich also damals – vor der Übernahme durch die beiden erwähnten jüdischen Eigentümer – doch um eine Art Arisierung?

„Völlig ungeklärt“ sind nach Auffassung des Hausanwalts Peter Raue auch alle anderen Fragen. „Keine Urkunde, keine Klärung der Rückübertragungsfrage, kein Grundbuchauszug, kein Vertragsentwurf, keinerlei konkrete Unterlagen, über die wir mit Herrn Hochhuth verhandeln könnten.“ Nach Berliner Landesrecht, so der Sprecher des Kultursenats, wäre Hochhuths nach seiner Mutter Ilse Holzapfel benannte Stiftung niemals genehmigt worden: Sie verfüge nicht über ausreichende Mittel, den Theaterbetrieb zu übernehmen.

Klemke weist auch die von Hochhuth kolportierte Äußerung zurück, Müller habe am Deutschen Theater quasi stalinistisch die Aufführung von Westautoren verhindert: „Hochhuths ,Stellvertreter‘ wurde hier allein 128mal gespielt. Die Behauptung, man spiele in Berlin keine jüdischen Autoren, zeigt, wie solide die Informationen sind, die die Erbengemeinschaft von Hochhuth erhält.“ Mariam Niroumand