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: Davon kommt ihr nicht los

„Letzte und erste Tage“, Freitag, 20.30 Uhr, ARD

Es wird viel geweint in diesen Tagen. Vor ihren TV-Kästen sitzen die Deutschen und heulen. Da bot das Kino in den letzten Jahren ein gutes Vorbereitungstraining auf das Jubiläum: Dort lernte man doch, wie wohl Tränen tun. „No thing is better than a good sob“, wie Leroy, Amerikaner zu Besuch, es ausdrückt.

Anfangs war ich ja skeptisch. Die Werbung begeisterte uns für den neuen Bordcomputer, dank dem Ford-Autos besser durch den Verkehr flutschen: „So was hätten wir für den Rußlandfeldzug gebraucht!“ Dann schielte Herr Würmeling in der bayerischen Post-Tagesschau-Miniserie „Tage des Überlebens“ besonders staatsmännisch am Kameraauge vorbei auf den Teleprompter, um uns die Verzögerung der Kapitulation in Reims zu erklären (er hätte das besser gemacht).

Daß die Sache selbst nicht schlecht, wenn nicht sogar gut ausgehen würde, wurde mir klar, als Herr Biolek und Herr Wickert ihre ersten Moderationen in erheblicher Beklommenheit absolvierten. Herr Wickert verzichtete darauf, seine langen Glieder mit der üblichen Eleganz zu gruppieren. Und auch Herr Biolek hielt sich weit besser im Zaum als normalerweise. Nur einmal drängte es sich heraus und spritzte: „Wahnsinn!“ Besonders unpassend, der ehemalige Buchenwaldhäftling erzählte vom Hunger, er habe „Gras gebissen wie eine Kuh“. Als er Erna Putermann auf den Judenstern“ bringen wollte: „Und welche Ausgrenzungen haben Sie erlebt?“ stöhnte Jutta: „Jargon der Sozialpädagogik!“ Aber die Warnsymptome reagierten überempfindlich; zumal die „Revue der Erinnerungen“ weit genug abgerollt war, so daß man sagen konnte, sie sei nicht schlecht, wenn nicht sogar gut gewesen.

Den Reigen der Zeugen verfolgten wir mit Interesse. Anfangs erzählte Dieter Wellershoff – dessen Kriegsbuch „Der Ernstfall“ eben bei Kiepenheuer & Witsch erscheint und entschieden empfohlen sei – mit durchdringender Nüchternheit von dem Neunzehnjährigen, als der der freiwillig an die Front mußte. Am Ende vermittelte Frau Sauer, 27, Enkelin eines Nazischweins, sogar einen Hauch von Antifa-Kampf. Die Revue-Einlagen gestalteten sich geschmackvoll, wenn nicht brillant: Tim Fischer hatte bei Zarah Leanders rollkommandierendem „Davon geht die Welt nicht unter!“ stets Worte auszulassen, als habe die Schellackplatte einen Sprung. „Das wußte ich doch!“ schluchzte Jutta, als im Abspann Horst Königstein auftauchte.

Bloß Leroy störte uns immer wieder beim Weinen. „Das Bühnenbild“, wiederholte er, „die Lampen, der Schutt, die verbrannten Balken – das soll bestimmt der Führerbunker sein? Davon kommt ihr nicht los. Das ist doch bestimmt der Führerbunker.“ Michael Rutschky