14 Stunden

■ "Der Krieg geht zu Ende", Walter Kempowskis "Echolot" als Hörspiel

Wir hören stundenlang Stimmen. Es sind die Stimmen zahlloser Menschen direkt aus dem „Damals“. Sie beschwören die unterschiedlichsten Bilder aus dem Zeitraum von Januar bis Mai 1945. Damals, als es endlich zu Ende ging mit dem seit sechs Jahren anhaltenden Alptraumkrieg. „Ein bombiges Neujahr“, meint einer mit Galgenhumor. Ein Mädchen dagegen: „Man muß gleich einer Maschine werden, um nicht unterzugehen in der grausigen Wirklichkeit.“ Der sechzehnjährige Flakhelfer fühlt sich um die besten Jahre seines Lebens betrogen, denn: „Jetzt ist die Zeit, wo wir tanzen lernen würden!“

Aus über dreitausend Briefen, Tagebucheintragungen und sonstigen Alltagsdokumenten sprechen, murmeln und wispern sie, beschreiben Triviales und Entsetzliches, oft beides ineinander verschraubt: das Ende des Krieges in protokollarischer Darstellung. Und zwar aus der Sicht der unzähligen Unbekannten, die ihre Erlebnisbilder in „natürliche Sprache“ fassen – fernab von den konservierten Statements und Parolen offizieller Zeitgrößen. Auf Initiative Christoph Buggerts, Hörspielchef beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt, haben diese Stimmen aus Walter Kempowskis „Echolot- Archiv“ jetzt einen ganzen Radiotag lang Zeit, in unser Bewußtsein zu dringen. Seit er in den sechziger Jahren mit seinem Projekt der deutschen „Spurensicherung“ begann, stellt Kempowski immer wieder eindrucksvoll sein Vertrauen in die Aussagekraft von Alltagssprache unter Beweis, seinen Glauben an die blanke Wiedergabe von Tatsachen als Denkspiel und Gedächtnisersatz für alle später Geborenen.

Kempowski verzichtet dabei auf Kommentare, da „die Texteschreiber ja ihre Reflexionen mitliefern“. Sein Kommentar ist der Schnitt und die Komposition des Materials. So versucht dieser Chronist im Idealfall „ein gewisses Gleichgewicht“ herzustellen: zwischen Opfer und Rächer, zwischen den Seiten und Kehrseiten des Grauens. Das erschütternd Authentische an diesen Zeugnissen ist gerade die private, unfrisierte Wahrnehmung, die Kempowski in jahrelanger Sammlertätigkeit zusammentrug. Das pendelt, je nach AutorIn, zwischen rührend hausbackenem Erklärenwollen und ansetzender Verdrängung: „Wenn der Krieg aus ist, dann ist alles sicher schnell wieder vergessen“ – Pause – „Wenn der Krieg vorbei ist, ist von alter deutscher Kultur sicher nur noch in kleineren Städten etwas zu finden.“ – Pause – „Wenn wir den Krieg verlieren, sind wir nach allgemeiner Überzeugung selbst daran schuld. Und zwar nicht der kleine Mann, sondern die Führung“ – Pause –.

So chaotisch diese letzten Monate gewesen sein müssen – der Regisseur Walter Adler entfaltet die Stimmenchronik in einer fast unheimlichen Ruhe. Ohne Hast überblendet das Hörstück die Einzelperspektiven zu einer zentralen Großaufnahme und ermöglicht so zumindest ansatzweise das wirkliche Erfassen der entsetzlichen Zeit. Gerade durch das erzählende Ausholen der vielen setzt sich ein Puzzle im Bewußtsein zusammen. Kempowski glaubt an diese Fähigkeit seines Publikums.

Ein Glück, denn gerade wegen seiner ruhigen, fast monumentalen Geste verliert sich dieses Zeugnis nicht im derzeitigen Jubiläumsrummel, sondern könnte durchaus eine nachhaltige aufklärende Wirkung haben. Zum Beispiel, indem es einmal monatlich gesendet wird oder, wie Walter Kempowski vorschlägt: „Man sucht doch jetzt in Berlin eine Gedächtnisstätte für die Opfer des Krieges. Man könnte dort anstelle der [...] Käthe-Kollwitz-Frau dieses Hörspiel ununterbrochen spielen [...], jahre-, jahrzehntelang.“ Kein schlechter Gedanke! Gaby Hartel

hr2: 8.05 bis 1.00 Uhr nachts. Bayern 2: 10.04 bis 12.00 Uhr; 15.06 bis 18.00 Uhr; 20.03 bis 23.00 Uhr. NDR 4: 9.20 bis 10.00 Uhr; 11.00 bis 14.00 Uhr; 15.00 bis 18.00 Uhr. S2-Kultur: 8.05 bis 10.00 Uhr; 10.30 bis 12.30 Uhr; 14.00 bis 16.00 Uhr; 16.30 bis 18.30 Uhr; 20.30 bis 24.00 Uhr