Die gläsernen Arbeitslosen

Leistungsmißbrauch: Engere Zusammenarbeit zwischen Finanzämtern und Arbeitsämtern / Selbständige im Visier der Häscher / Arbeitsämter fordern automatischen Datenaustausch  ■ Von Barbara Dribbusch

Es war nur eine kleine Schummelei, einer von den Fällen von „Leistungsmißbrauch“, denen das Arbeitsamt bislang nur selten auf die Spur kam. Die 32jährige Akademikerin – nennen wir sie Gila Siel – hatte vor zwei Jahren Arbeitslosengeld kassiert. Und verschwiegen, daß sie sich durch die schlechtbezahlten Jobs als „Freie“ beim Radio ein paar Mark hinzuverdiente. Jetzt wurde sie vom Arbeitsamt aufgefordert, die „zu Unrecht gewährte Leistung“ zurückzuerstatten. Kein Einzelfall.

Festangestellte Beschäftigte, die auch arbeitslos gemeldet sind, werden durch den automatischen Datenabgleich (DALEB) bei den Krankenkassen schon herausgefiltert. Bei selbständigen VersicherungsvertreterInnen, MarkthändlerInnen, LektorInnen taten sich die Arbeitsämter hingegen schwer. „Die Selbständigen und Freiberuflichen sind die Lücke im Datensystem“, so Brandes. Deren Einnahmen und Provisionen sind nur den Auftraggebern bekannt – und dem Finanzamt. Dort waren diese Daten bislang durch das „Steuergeheimnis“ geschützt. Seit 1994 gilt eine neue Bestimmung.

Demnach sind die Finanzbehörden berechtigt, den „Sozialleistungsträgern Tatsachen mitzuteilen“, die auf einen Leistungsmißbrauch hindeuten. „Das Zusammenwirken zwischen Arbeitsämtern und Finanzämtern wird dadurch erleichtert“, schildert Bernhard Weber, zuständiger Referatsleiter bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Und nicht nur das: Ein Sachbearbeiter des Finanzamtes darf jetzt das Arbeitsamt von selbst informieren, wenn aus seinen Unterlagen hervorgeht, daß ein Steuerpflichtiger „doppelt“ kassiert.

In der Regel erkundigen sich die Arbeitsämter bei den Finanzbehörden, und nicht umgekehrt. Die Fahnder werden dann vorstellig, „wenn es einen Anhaltspunkt gibt“, berichtet Werner Marquis, Sprecher beim Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen. Der „Anhaltspunkt“ kann eine anonyme Denunziation sein. Zumeist aber enttarnen die Häscher vom Arbeitsamt selbständige „Doppelverdiener“ wie Gila Siel bei „Außenprüfungen“ – etwa bei Razzien auf Baustellen und beim Durchforsten der Mitarbeiterlisten, auch von Rundfunkanstalten. Immerhin 68.700 „Außenprüfungen“ mit 28.500 Fällen von „Leistungsmißbrauch“ verzeichnet die BA in ihrer Statistik von 1994. Der bisher größte Coup gegen selbständige Dienstleister: In Nordrhein-Westfalen überprüften die Mißbrauchsbekämpfer neun im Lande ansässige Versicherungsunternehmen und schickten die Daten von 121.000 haupt- und nebenberuflichen Vertretern an die örtlich zuständigen Arbeitsämter im ganzen Bundesgebiet. Ergebnis: Rund 17.000 VersicherungsvertreterInnen verjubelten nebenbei noch Geld vom Arbeitsamt, eine Trefferquote von 14 Prozent.

Obwohl es zum Betriebsbesuch nicht mal eines „Anfangsverdachts“ bedarf, gibt es mitunter doch Probleme mit dem Datenschutz. „Mit der Freien Universität Berlin streiten wir uns gerade, ob wir die Listen der Doktoranden und Drittmittelforscher einsehen können“, erzählt Brandes.

Die „doppelverdienenden“ Selbständigen sind nicht nur ein Zeichen laxer Moral, sondern auch mieser Beschäftigungsbedingungen. Immer mehr Arbeitslose finden keine Festanstellung mehr, sondern nur noch eine Tätigkeit als selbständige Honorarkraft oder Auftragsnehmer. Besonders im Baubereich, aber auch in der Dienstleistungsbranche ackern Tausende auf eigene Rechnung. Für diese „Selbständigen“ ist es attraktiv, weiter beim Arbeitsamt gemeldet und dort versichert zu bleiben. Die dadurch gesparten Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge „sind manchmal höher als das Arbeitslosengeld selbst“, weiß Marquis.

Aber auch wenn sich die Zusammenarbeit zwischen den Ämtern verdichtet hat: ganze Listen mit den Auskünften Steuerpflichtiger werden von den Finanzämtern nach wie vor nicht ohne Grund von selbst herausgerückt, obwohl die Mißbrauchsbekämpfer der Arbeitsämter gerne einen automatischen Datenabgleich hätten. Doch da seien Steuer- und Sozialgeheimnis vor. Aber die Finanzämter haben an einer solch erweiterten Mißbrauchsbekämpfung wenig Interesse, geht es doch nur ums Arbeitslosengeld und nicht um die Steuer.