„Plutonium kam aus München“

■ Sprecher des russischen Atomenergie-Ministeriums „Minatom“ streut neues Gerücht in der Affäre Schmidbauer

Hamburg/Paris (dpa/taz) – „Ich glaube, das Plutonium ist in Deutschland hergestellt worden. Es kam mit der Lufthansa-Maschine aus München nach Moskau und wurde gleich wieder zurückgeflogen“, behauptet Georgij Kaurow, der Sprecher des russischen Atomenergie-Ministeriums (Minatom) in einem Beitrag für die Woche. Es handelt sich um die knapp 400 Gramm waffenfähiges Plutonium 239, die im August 1994 auf dem Münchner Flughafen sichergestellt wurden.

Nach dem letzten Stand in der trüben Geschichte wurde der Handel zwar vom Bundesnachrichtendienst (BND) und Kanzleramtschef Bernd Schmidbauer (CDU) abgewickelt, das Plutonium stammt nach der bisherigen Ansicht von Experten allerdings aus Rußland. „Die Öffentlichkeit ist vom BND an der Nase herumgeführt worden“, sagt Kaurow. Der Fall sei schlicht und einfach eine Provokation, die den russischen Atomkomplex kompromittieren sollte, um ihn internationaler Kontrolle zu unterstellen. „Von Staatsminister Schmidbauer bin ich zutiefst enttäuscht. Sein arrogantes Auftreten, als er damals nach Moskau kam, war schon für sich empörend. Dabei hat er noch die ganze Zeit gelogen“, beklagt sich der Minatom-Sprecher.

Eine „üble Unterstellung und geradezu absurd“ nannte der stellvertretende Regierungssprecher Herbert Schmülling die Vorwürfe Kaurows. Die Regierung werde heute Details der Parlamentarischen Kontrollkommission vorlegen, die sich in geheimer Sitzung mit dem Fall beschäftigt.

Auch die Wissenschaftler, die damals die Probe untersuchten, können die Vorwürfe von Kaurow nicht glauben. Wilhelm Gmelin, der Direktor der Sicherheitsüberwachung der Atombehörde der EU, Euratom, findet die Aussagen des Minatoms „unverständlich“. Die genaue Zusammensetzung der Probe, die einzelnen radioaktiven Isotope und Verunreinigungen, seien wie ein Fingerabdruck analysiert worden. „Die Ergebnisse ließen keine Zweifel zu“, so Gmelin, „die Probe kam nicht aus dem zivilen Bereich der EU, sondern aus der früheren Sowjetunion.“

Der Anteil an spaltbarem Plutonium 239 lag bei der Probe über 87 Prozent. Plutonium aus deutschen Leichtwasserreaktoren habe nach der Wiederaufarbeitung aber weniger als 79 Prozent des waffenfähigen Materials, so Gmelin.

Daß in den Ländern der Ex- UdSSR die Sicherheit in den Atomanlagen nicht mehr gegeben ist, bestätigt auch eine Studie von Jacques Attali im Auftrag der UNO. „Mindestens 30 Kilo spaltbaren Materials sind nach seriösen Angaben in der Ex-UdSSR bereits gestohlen worden“, sagte der geschaßte Präsident der Europäischen Entwicklungs-Bank. Zudem arbeiten nach seinen Angaben etwa 1.000 ehemals sowjetische Atomspezialisten für Länder, die an Atomwaffen interessiert seien. Die Herstellung von Atomwaffen ist nach der Attali-Studie „für eine Gruppe, die über mehrere Millionen Dollar verfügt, möglich“. Darunter fielen auch Terroristen, Sekten oder die Mafia. „Die internationalen Maßnahmen gegen eine Weiterverbreitung werden immer lächerlicher“, so Attali. So verfüge beispielsweise die Internationale Atomenergie-Agentur weltweit nur über 255 Kontrolleure, während in den USA allein 7.200 Leute damit beschäftigt seien, Tierseuchen aufzuspüren. rem

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