Sanssouci
: Vorschlag

■ Raymond Pettibon bei Contemporary Fine Arts

Raymond Pettibon: Untitled, 1987, 35,6 x 27,7 cm

Foto: Contemporary Fine Arts

Als Bruno Brunnet in der Gruppenschau „New Deal“ vor drei Jahren Raymond Pettibon ausstellte, war man geneigt, dessen Aufforderung „Paint the all unutterable“ nicht unbedingt pathetisch als „Male das Unaussprechliche“ wiederzugeben. Die rüde Pointe von „unsäglichen Zeichnungen“ lag irgendwie näher. Inzwischen ist man aber mit dem sehr amerikanischen Pop-Pandämonium des 1957 geborenen Künstlers vertrauter, der in Hermosa Beach/Los Angeles lebt. Seine Zeichnungen reisen mit der Sammlung Schürmann, und Anfang dieses Jahres hatte Pettibon eine 700 Zeichnungen umfassende Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern, die danach in Paris gezeigt wird (ab 20. Mai). Wenn man jetzt über die teils roh an die Wand gehefteten, teils einfach gerahmten Bild-Text-Arbeiten an den Wänden von Nicole Hackerts und Bruno Brunnets Contemporary Fine Arts Galerie meditiert, möchte man Rudolf Schmitz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zustimmen. Der schrieb zur Berner Ausstellung, Pettibons ungelenke Zeichentechnik führe den Wunsch nach Verbesserung vor – „und die Schönheit, wenn jemand nichts dazu lernt“.

Was nichts anderes heißt, als daß Pettibon schon von Anfang an die gültige Ausformulierung seiner Pulp Fiction mitlieferte. Das machte ihn zuletzt zu Recht zu einem Star der Kunstszene von Los Angeles, neben Mike Kelley oder Paul McCarthy (nachdem er als Cover-Künstler der L.A.-Punkband „Black Flag“ in der Musikszene als Kultfigur galt). Natürlich zeigen sich subtile Veränderungen in den Arbeiten von 1982 bis 1994. Die Verbindung von Text und Bild ist in den älteren, schwarzweißen Tuscharbeiten im Stil der Comic-Rhetorik eliptisch verkürzt. Wenn auf dem Rücksitz eines Chevrolet das Übliche stattfindet, dann sieht man nur den männlichen Part des Paares, dem man der Satz „louder you bitch, Robert Plant can't hear you“ zugeschrieben ist. Helter-Skelter-Killer Charlie Manson, der Vietnam-Krieg, JFK, die Reagans, Stalin, Dollar-Zeichen, die Bibel, der antikisch-heroische Baseballspieler, der Blitz aus den Wolken, der Surfer auf haushohem Wogenkamm, die Eisenbahn und das Selbstportrait sind immer wiederkehrende Bildchiffren, daneben Comics entnommene Figuren wie Vavoom, Gumpy, Goo oder Batman.

In den späteren Arbeiten driften Bild und Text auseinander. Die Blätter werden im Format größer, zur schwarzen Tusche kommt die rote Tinte. Die Textzeilen vermehren sich und überschwemmen oft das Bild. Cut-up-Prosa aus der Literatur des High und Low, von Walt Whitman bis Superman, wird in einen Rhythmus von tendenziell lyrischer Ausdrucksqualität zusammengezwängt. Etwas Gewalttätiges ist in diesem Vorgang zu spüren, das Pettibons Anspruch „Illustration als Illumination“ als ernsthaftes Unterfangen bestätigt. Pettibon ist anstößig moralisch. „Our boys in Cambodia“ steht auf einer Zeichnung, die die männliche Anatomie des Schwanzes fokussiert, verbunden mit der Frage, die Ronald Reagans Autobiographie ihren Titel gab: „where's the rest of me?“ Das ist plump, fies und ersichtlich unter der Gürtellinie. Aber der Ideenwelt der populären amerikanischen Selbstbeschreibung angemessen, die kurz und bündig lautet: it's a man's world. Und zwar ganz im Sinne des 19. Jahrhunderts, wo sich Erfindergeist – bei Pettibon Edisons Glühbirne –, Sportsgeist und Eroberungswille – Pettibon deutet die Eisenbahn erklärtermaßen nicht mit Hitchcock als Phallussymbol, sondern mit John Ruskin als „schlimmstes Zeichen der industriellen Revolution“ – völlig undifferenziert gegen alles wandten, was als anders, unentdeckt und schwach galt. Künstlern und Frauen war bekanntlich die Aufgabe zugeteilt, den gewaltigen Taten mit humanitären Idealen entgegenzutreten, auf daß sie nicht allzu sehr aus dem Ruder liefen. Das Ergebnis der Aufgabenteilung war sehr mäßig, legitimerweise versuchen sich die ReparaturarbeiterInnen inzwischen zu verweigern. Bislang endet so alles noch böser. Los Angeles ist ein guter Ort, das zu beobachten. In Erwartung des Untergangs – zu diesem suizidalen Subtext all der so energisch, bibelfest und tatenfroh auftrumpfenden uramerikanischen Werte-Chiffren, die zuletzt ja ihr großes Comeback haben, liefert niemand so umfassende und treffende Notizen wie Raymond Pettibon. Brigitte Werneburg

Bis 20. 5., Di-Fr 12-18.30, Sa 11-15 Uhr, Tauroggenstr. 15.